Ein Haus der Möglichkeiten
Schenker Salvi Weber Architekten
1. November 2024
Die Fassade des KinderKunstLabors besteht aus Holzlamellen, die als Filter wirken und zuweilen Einblicke ins Gebäudeinnere zulassen. (Foto: Patrick Johannsen)
Schenker Salvi Weber haben St. Pöltens neues KinderKunstLabor gebaut. Michael Salvi stellt das räumlich und atmosphärisch überaus reiche Bauwerk vor, das am physischen Modell entwickelt wurde.
Herr Salvi, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Als wir uns an den Entwurf machten, war uns keine Typologie »KinderKunstLabor« bekannt. Vor uns lag also ein weites Feld der konzeptionellen Möglichkeiten, eine solche zu entwickeln. Im Wesentlichen handelt es sich um einen Kulturbau für zeitgenössische Kunst. Zugleich verfolgt das Programm einen kulturpolitischen Bildungsauftrag: Kindern und Jugendlichen soll Kunst und Kultur vermittelt werden. Dabei wird ihnen auch die Möglichkeit gegeben, im »Labor«, also einer Werkstatt, selbst gestalterisch tätig zu sein und sich kreativ einzubringen.
Diesen Möglichkeitsraum haben wir konsequent ausgelotet und dabei auch unseren eigenen kreativen Prozesse hinterfragt. Das führte schließlich dazu, dass wir von Beginn an radikal im physischen Arbeitsmodell entwarfen. Diese Herangehensweise sieht man – so glauben wir – dem Bauwerk heute an.
Große Bäume umstehen das neue Haus. Analogien zur Natur prägen seine Architektur. (Foto: Patrick Johannsen)
Eine beeindruckende Treppenanlage führt entlang der Fassade nach oben. Sie ist ein Treffpunkt und wird sogar für Veranstaltungen genutzt. (Foto: Patrick Johannsen)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Wir haben das Projekt als gebaute Landschaft aufgefasst, die sich aus dem Park entwickelt: Die Helix-Treppe bewegt sich entlang der Fassade im Spannungsfeld zwischen Innen- und Außenraum. Der Schatten der mächtigen Bäume in der Nachbarschaft soll das Schattenspiel des präzisen Holzlamellenkleides überlagern. Die Raumgrenzen sollen bewusst verschwimmen. Entlang dieser gassenartigen Treppenfigur windet man sich in die Höhe und landet in den Baumkronen. Das Narrativ von künstlicher Landschaft und gewachsener Vegetation begleitet den Entwurfsgedanken. Im Zentrum der triangulierten Grundrissgeometrie übernimmt ein polygone, baumartige Stütze die Lasten. Das Tragwerk spannt sich schirmartig über die Ausstellung.
Foto: Patrick Johannsen
Auf Verkleidungen wurde im Inneren weitestgehend verzichtet. Die Materialität verstärkt die Raumwirkung der Architektur. (Foto: Patrick Johannsen)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Das KinderKunstLabor weist einen hohen Symbolcharakter auf und wirkt so als Landmark auf dem Weg von St. Pöltens Altstadt zum Kulturbezirk. Die sich verändernde Hülle aus Holzlamellen bietet als Filter latente Einblicke und weist auf den prozesshaften Charakter des Hauses hin. Die zusammenhängenden Flächen und das Holztragwerk bieten maximale Flexibilität für eine innovative Kunst- und Kulturvermittlung. Die raumübergreifende Struktur ist offen, einladend, transparent und lichtdurchflutet. Sie löst Motivation und Begeisterung aus für ein spielerisches Entdecken. Die großzügige, kommunikative Treppenanlage als Möglichkeitsraum dient als Forum für Veranstaltungen und wird so zum Ort der Begegnung – sie ist das Herz des KinderKunstLabors.
Der Wettbewerbsauslobung lag ein Manifest der Nutzerinnen zugrunde, in dem beschrieben war, was das KinderKunstLabor sein könnte. Es war ablesbar, dass ein Haus der Möglichkeiten entstehen soll. Neben der neuformierten Nutzerinnen-Institution KinderKunstLabor waren die Kinderbeiräte von Beginn an Teil dieses Prozesses. In Workshops wurde eine Projektkultur mit Weitblick entwickelt. Dieser offene dynamische Prozess ist nach wie vor im Gange. Mit der Fertigstellung hat eine nächste Phase der Aneignung und Bespielung begonnen.
Im Zentrum des Bauwerks steht eine achteckige Stütze. Zusammen mit den Trägern und drei massiven Betonscheiben bildet sie das Tragwerk. (Foto: Patrick Johannsen)
In der Bibliothek (Foto: Patrick Johannsen)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?
Der Entwurfsgedanke wurde in einer anregenden Diskussion ausgelotet und geschärft. Kostendruck ausgelöst durch die Krisen der letzten Jahre hat das Projekt auf die Probe gestellt. Es hat sich gezeigt, dass die robuste räumliche und konstruktive Ausgangslage vieles zulässt. Die Einfachheit im Detail und Direktheit in der Materialisierung tun der Atmosphäre gut, und an Funktionalität hat das Gebäude kein Stück eingebüßt.
Die textile Landschaft »Toshis Gabe おくリもの« von Toshiko Horiuchi MacAdam lädt im 3. Obergeschoss zum Spielen ein. Kunst-am-Bau-Arbeiten finden sich sowohl im Gebäude als auch im Altoonapark. (Foto: Patrick Johannsen)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?
Das KinderKunstLabor stellt bestimmt einen Meilenstein in unserem Werk dar. Der angesprochene kreative Prozess hat unsere Entwurfsmethode befeuert. Mit unserem Team haben wir das Privileg, seither an sehr starken Raumkonzepten in unterschiedlichen Maßstäben und Typologien arbeiten zu dürfen, wie zum Beispiel dem Museum Belvedere Salzburg oder der Ballonhalle für die Akademie der bildenden Künste in Wien. Das macht uns Freude und eröffnet neue Horizonte.
Die achteckige Stütze im Zentrum der Grundrissfigur steht im emotional-konstruktiven Mittelpunkt. Sie leitet gemeinsam mit den gevouteten Trägern die Kräfte in die drei massiven Betonscheiben ab. Das gewählte Tragwerk spannt einen Schirm auf. Die Stütze ist eine Analogie zu den umstehenden Bäumen und prägt dadurch die Identität und Raumstruktur.
Fenster zum Indoor-Spielplatz (Foto: Patrick Johannsen)
Detail der Fassadenkonstruktion aus Holzlamellen (Foto: Patrick Johannsen)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?
Der innere strukturelle Kern besteht aus einfach gearbeitetem Sichtbeton. Die Betondeckenplatten werden entlang der Fassade von quadratischen Holzstützen getragen. Die Helix-Treppe spannt sich als Betonfertigteil zwischen innere und äußere Holzfassade. Die Materialien sind sichtbar und offenporig verarbeitet. Die Besuchenden sollen sehen und erkennen können, wie das Haus gebaut ist. Auf Verkleidungen wurde weitestgehend verzichtet, die Leitungen sind sichtbar auf Putz geführt. Die Materialien Holz und Beton verstärken die räumliche Qualität des Bauwerks, gleichzeitig sind sie sehr taktil, was wiederum die architektonische Idee unterstützt.
Eingangssituation mit Vorplatz (Foto: Patrick Johannsen)
Lageplan (© Schenker Salvi Weber Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (© Schenker Salvi Weber Architekten)
Grundriss 1. Obergeschoss (© Schenker Salvi Weber Architekten)
Grundriss 2. Obergeschoss (© Schenker Salvi Weber Architekten)
Grundriss 3. Obergeschoss (© Schenker Salvi Weber Architekten)
Schnitt A (© Schenker Salvi Weber Architekten)
Schnitt B (© Schenker Salvi Weber Architekten)
KinderKunstLabor
Standort
Schulring 24, 3100 St. Pölten
Nutzung
Bildungs- und Kulturbau
Auftragsart
Offener einstufiger Wettbewerb
Bauherrschaft
Land Niederösterreich und Stadt St. Pölten: NÖ Kulturlandeshauptstadt St. Pölten GmbH
Architektur
Schenker Salvi Weber Architekten ZT GmbH, Wien
Projektleitung: Otto Bäuerle und Thomas Morgner
Mitarbeit: Christoph Framtes, Maximilian Dietz, Michael Salvi, Otto Bäuerle, Piotr Pindor, Rostislav Stoklásek, Thomas Morgner, Thomas Weber, Tristan Hunt und Veronika Ševčíková
Fachplaner
Statik: Werner Sobek AG, Wien
Gebäudetechnik: BPS Engineering, Wien
Brandschutz: IMS Brandschutz, Wien
Elektroplanung: BPS Engineering, Wien
Landschaftsplanung: bauchplan ).( , Wien
Lichtplanung: Designbüro Christian Ploderer GmbH, Wien
Örtliche Bauleitung: Buchegger 7, Wien
Fertigstellung
2024
Gesamtkosten
€ 16 Mio.
Gebäudevolumen
13'090 m3
Kubikmeterpreis
1069 €/m3
Kunst am Bau
Arbeiten im Altoonapark:
- »CO:CO« von Christine und Irene Hohenbüchler
- »Buchstabentheater« von Andrea Maurer
- »Zuckerhut« von mischer'traxler
- »Spiel-Skulptur« von Regina Möller
Arbeiten im Gebäude:
- »Toshis Gabe おくリもの« von Toshiko Horiuchi MacAdam
- »Archipelago« von Jakub Szczęsny in Zusammenarbeit mit Karolina Potębska und studio-itzo (Yoko Halbwidl, Martina Schiller, Rainer Stadlbauer)
Auszeichnung
Nominierung für den Bauherrinnenpreis 2024
Fotos
Patrick Johannsen