Hut ab, Haus hinein

columbosnext
14. April 2023
Von außen ist der Eingriff kaum zu erkennen. Lediglich beim trichterförmigen Eingangsportal, das das alte Scheunentor ersetzt, tritt das neue Haus-im-Haus in Erscheinung. (Foto: David Schreyer)
Herr Prenner, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Wir haben einem ehemaligen Heustadel nach dem Haus-im-Haus-Prinzip eine neue Struktur aus Brettsperrholz eingeschrieben und diese punktuell an den Altbestand angedockt. Den Keller haben wir tiefer gegraben, er dient nun als Werkstatt und Kunstlager. Alle Fassadenöffnungen und das großteils unverputzte Mauerwerk beließen wir originalgetreu.

Im Innenraum bildet ein tiefes, von beiden Seiten nutzbares Raumregal die Trennung zwischen dem Koch- und Essbereich und dem hohen Atelier. Die Kunst der Bauherrschaft prägt das Haus: Die Werke von Michael Fliri hängen an den Wänden und stehen als Skulpturen im Raum. Die Textilarbeiten wurden von seiner Partnerin Antoinette Bader gestaltet.

Das Wohn- und Atelierhaus zeichnet sich durch ein Raumkontinuum zwischen allen Nutzungen aus. Die Atmosphäre ändert sich Verlauf des Tages mit dem Licht, das durch die unterschiedlichen Öffnungen tief in den Raum fällt. Die Oberflächen sind unverkleidet, roh und rau. Im oberen Geschoss, das als Rückzugsbereich ausgebildet ist, werden sie feiner und weicher.

Der zurückhaltende, respektvolle Umbau passt gut in die alpine Landschaft Südtirols und zu den Bauten ringsherum. (Foto: David Schreyer)
Der Eingangsbereich des Hauses von der Küche aus gesehen (Foto: David Schreyer)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Uns inspirierte Michael Fliris Kunst. In seiner Arbeit spielen Masken eine zentrale Rolle. Er fertigt gerne Abgüsse vom Raum zwischen der Maskenrückseite und dem Gesicht des Trägers an. Die rohe, intuitiv geschnitzte Innenseite wird so plötzlich zur Schauseite, und der zuvor unsichtbare Hohlraum wird zum Volumen. Mund- und Nasenöffnungen erzeugen teils absurd geformte Rohre. Innen und außen kehren sich auf seltsame Weise um. 

Die Architektur des Hauses ist diesem Konzept ähnlich: Wie eine raue Maske verbirgt der ehemalige Heustadel eine intime Innenseite, die eigenständig in der Altsubstanz steht. Zwischen den beiden Schichten entsteht ein schmaler Zwischenraum, in dem sich grober Stein und eine feine Holzhaut gegenüberstehen – ein geheimer Hohlraum wie bei den Masken. Michael Fliri hat große Freude daran, dass sein Haus sich derart bündig in sein künstlerisches Konzept integriert.

Foto: David Schreyer
Das Wohn- und Atelierhaus zeichnet sich durch ein Raumkontinuum aus, dessen Atmosphäre sich über den Tag hinweg mit dem einfallenden Licht verändert. (Foto: David Schreyer)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Wunderbar erhaltene, mit Sgraffitti verzierte Häuser und das Rätoromanische erinnern in Taufers im Münstertal bereits ans Engadin. Wichtig war uns, dass sich das Haus in den Bestandskontext einfügt und sich diesem unterordnet. Wir wollten das verwinkelte und verschachtelte Gefüge des Dorfes respektieren. 

Für die Bauherrschaft indes war essenziell, vom Bestand, einem gemauerten Wirtschaftsgebäude aus dem 16. Jahrhundert, so viel wie möglich zu erhalten. Es war in gutem Zustand, der Dachstuhl aber leider marode. Wir haben das Dach abgenommen und dem Volumen, wie eingangs erwähnt, eine neue Struktur eingeschrieben. Wie die frühere leitet sich auch die neue Dacheindeckung aus den verzinkten Dächern der umliegenden Stadel ab. Wir haben mit großer Sensibilität dem Gebäude seinen Charakter gelassen und der Sanierung eine neue Ästhetik zugeschrieben. Von außen sichtbar ist diese nur beim trichterförmigen Eingangsportal, welches das alte Scheunentor ersetzt.

Kunst prägt das ganze Bauwerk. Für das Team von columbosnext, das an der Schnittstelle zwischen Kunst und Architektur arbeitet, war die Gestaltung des Wohn- und Atelierhauses darum eine besonders freudvolle Aufgabe. (Foto: David Schreyer)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Es war eine sehr konstruktive Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft, und es gab keine bedeutenden Projektänderungen. 

Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Das Gebäude reiht sich insofern unter die bestehenden Bauten unseres Büros ein, als wir sehr gerne mit Oberflächen und Materialien arbeiten, die unverkleidet, ehrlich und simpel sind – bei diesem Projekt etwa kamen geschliffener Estrich und Fichtenholz zum Einsatz. Wir sehen in der Reduktion der Schichten und der Ausführung als »Edelrohbau« sehr viel Potenzial. Es darf alles so einfach wie möglich, roh und rau sein. So bilden im Obergeschoss etwa rohe Brettschichtholzplatten und Teppich bereits den gesamten Aufbau des Bodens. Die Bauherren haben unseren »Edelrohbau« dann weiter verfeinert. Dieses Hands-on ist geprägt von unseren Installationen im öffentlichen Raum, die wir in Selbstbauweise realisiert haben. 

Wir denken bei unseren Projekten stark in Kubikmetern, Volumina spielen für uns beim Entwerfen eine wesentliche Rolle. Bei diesem Haus ist das im Innenraum, der ein großes Gesamtvolumen bildet, sicht- und spürbar.

Weiters war es eine sehr schöne Aufgabe, mit und für ein Künstlerpaar ein Projekt zu realisieren, da wir als Architektur- und Kunstkollektiv an der Schnittstelle zwischen Kunst und Architektur arbeiten.

Foto: David Schreyer
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Die ökologische Bauweise hinter dem alten Gemäuer erfüllt den zeitgenössischen Standard so gut, dass wir für das Haus Fliri voriges Jahr den KlimaHaus Award Italien bekommen haben. Die Holzwände sind in Ständerbauweise realisiert, um in der Ebene der Tragkonstruktion dämmen zu können.

Foto: David Schreyer
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Holz in all seinen Varianten prägt das Haus von innen. Da es seine Fassade schon hatte, haben wir mit der Holzständerbauweise nicht eine hinterlüftete Holzfassade, sondern ein hinterlüftetes Mauerwerk geschaffen. Durch die Hinterlüftung des Altbestands kann das Bestandsmauerwerk nun »atmen«. Der Keller, der als Werkstatt für den Künstler fungiert, ist jetzt trocken. 

Lageplan (© columbosnext)
Grundriss Erdgeschoss (© columbosnext)
Grundriss Obergeschoss (© columbosnext)
Schnitt (© columbosnext)
Bauwerk
Haus Fliri
 
Standort
Petnal 3, 39020 Taufers im Münstertal, Südtirol, Italien
 
Nutzung
Wohn- und Atelierhaus 
 
Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Michael Fliri und Antoinette Bader
 
Architektur
columbosnext, Stellwerk 2, Innsbruck 
Projektleiter: Lino Lanzmaier 
 
Fachplaner
Statik: Ingenieure Patscheider & Partner GmbH, Mals, Südtirol, Italien

 
Bauleitung
Zimmerei Fleischmann A. & Co OHG, Martell, Südtirol, Italien
 
Fertigstellung
2021
 
Gebäudevolumen
675 m³
 
Kunst am Bau
Michael Fliris künstlerische Arbeiten hängen an jeder Wand, Skulpturen stehen im Atelier. Antoinette Bader hat mit Feinheit die Textilien gestaltet.
 
Maßgeblich beteiligte Unternehmer 
Dach, Zimmerei, Fenster und Türen: Zimmerei Fleischmann A. & Co OHG, Martell
Elektroinstallationen: Florian Steiner, Taufers im Münstertal
Sanitär: Horst Stricker, Taufers im Münstertal
 
Auszeichnung
KlimaHaus Award Italien 2022
 
Fotos
David Schreyer

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