Mehrfachnutzung, weniger Parkplätze, kluge Verbindung von Bestandsbauten – das neue Kindergartenzentrum Furth

GABU Heindl Architektur
25. März 2022
Die Kleinkindergruppe im Erdgeschoss verfügt über einen direkten Ausgang zum Garten. Der Gruppenraum mit Loggia im Obergeschoss ist für größere Kinder vorgesehen. (Foto: Andreas Buchberger)

 

Frau Heindl, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe? 
 

Städtebaulich waren wir im Wettbewerb die einzigen, die vorgeschlagen haben, den Kindergarten fußläufig an den Ortskern anzubinden und die Straße sowie die Zäune, die die bestehenden zwei Kindergärten getrennt hatten, durch eine neue Wegeführung aufzulösen.

Mit der Bauaufgabe für die Erweiterung der bestehenden Kindergartengruppen werden mehrere Paradigmenwechsel angestoßen: Es wurde ein Wettbewerb für eine öffentliche Bauaufgabe ausgelobt, und man entschied sich für den Ausbau der Infrastruktur für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen zu Schule und Kindergarten, damit mehr Kinder selbstständig ihr Umfeld erkunden. Und außerdem wurde eine richtungsweisende Mehrfachnutzung öffentlicher Infrastruktur auf den Weg gebracht: Abends und an den Wochenenden kann die Gemeinde bei Bedarf den Multifunktionsraum des Neubaus nutzen. Das ist wichtig, denn die bessere Ausnutzung unseres Gebäudebestandes ist ökologisch wie wirtschaftlich nachhaltig. 

Hinsichtlich der Ausgestaltung der Innenräume unterteilt ein Kuschelraum den Gruppenraum in verschiedene ruhigere Zonen, – was sich bereits als sehr vorteilhaft erwiesen hat. 

 

Der Zubau zur Häuserzeile des Kindergartens, darüber das Stift Göttweig (Foto: Andreas Buchberger)
Ein Erweiterungsbau ergänzt den bestehenden Kindergartencampus. (Foto: Andreas Buchberger)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Der bestehende Campus wies eine dörfliche Struktur aus zusammenhängenden Einzelbaukörpern auf. Diese haben wir mit der Erweiterung fortgesetzt. Der Reihe wurde ein weiteres Haus hinzugefügt, verbunden mit einem Pavillon.

Die Faltung der Dachstruktur des Gebäudes bezieht sich auf den Serpentinenweg, der von der Ortsmitte hinauf zum Kindergarten führt, sowie auf die Hügelstruktur der umgebenden Landschaft.

Aus dem Haus werden die Ausblicke in die Landschaft und zum Stift Göttweig für Kinder und Erwachsene gezielt in Blickbeziehungen gesetzt.

 

Belebter Gruppenraum (Foto: Andreas Buchberger)
Loggia (Foto: Andreas Buchberger)
Verbindungspavillon (Foto: Andreas Buchberger)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Es fanden Entwurfsworkshops mit dem Team der Gemeinde statt. Außerdem wurden Informations- und Diskussionsabende mit den Pädagoginnen und Eltern organisiert. Im Rahmen dieser Anlässe wurden die Entwurfsprinzipien gemeinsam begutachtet und verfeinert. 

Vor allem die Änderung im Hinblick auf die Neugestaltung der Zufahrt und die Reduktion der Stellplätze auf dem Gelände mussten erläutert werden. Sie wurden aber auf Grundlage der deutlichen Qualitätssteigerung für die Kinder befürwortet. Im Entwurfsprozess wurden weitere Bestandsräume architektonisch aufgewertet, um auch eine Kleinkindergruppe mit direktem Zugang in den Garten und Blick auf das Stift Göttweig zu beherbergen. 

Der innovative Grundriss der Kindergartengruppe wurde so umgesetzt, dass der zentrale Kubus auch wieder verschoben werden könnte. Wie der Raum funktioniert, evaluieren wir mit der zentralen Pädagogin bis heute und freuen uns zu hören, wie gut er angenommen wird. 

 

»Morgenecke« im Gruppenraum (Foto: Andreas Buchberger)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Es kam noch der Wunsch nach einer Kleinkindergruppe hinzu, für die wir im Lauf des Prozesses noch Platz und Mittel finden mussten. Wir haben schon mehrfach erlebt, dass im Laufe des Prozesses noch mehr Raum für Kinder und vor allem für Kleinkinder geschaffen werden soll. Der Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen steigt auch in ländlichen Gebieten stetig.

Als Architektinnen sind wir bemüht, emanzipatorische, proaktive Räume und somit Architektur zu schaffen, welche Familien bei der Kinderbetreuung unterstützt. Zumeist sind es immer noch vor allem Mütter, die tagtäglich diese Wege und Räume beschreiten, einen großen Teil der gesellschaftlichen Arbeit leisten und die Betreuung ihrer Kinder übernehmen.

 

Komplexe Raumgeometrie der Kindergruppe (Foto: Joanna Pianka)
Innenraum mit zentralem Kubus (Foto: Joanna Pianka)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?


Schul- und Kindergartenbau ist ein Fokus unserer Arbeit. Zugleich haben wir noch nie ein Gebäude auf die grüne Wiese gestellt, sondern alle unsere Projekte sind Umbauten und Erweiterungen. Auch darauf sind wir stolz.

 

Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Selbstverständlich! Energetisch nachhaltig zu bauen, war von Beginn an ein entwerferisches Thema. Wir haben Materialien entsprechend ihren besonderen Eigenschaften verwendet. Das heißt, im Hügel haben wir mit Ziegeln gebaut, die geometrisch komplexe Figur darüber in Holz. Dabei galt es, möglichst effizient in den Mitteln zu bleiben und zugleich den größtmöglichen Output zu erzielen. 

Eine genaue Analyse des Bestehenden half uns, darüber zu entscheiden, was wir erhalten können. Ein schönes Detail ist dabei die einstige Außentreppe, die zur Innentreppe im neuen Verbindungspavillon geworden ist. Es gibt noch viele weitere solcher Momente, in denen Alt und Neu zusammenkommen und sich gegenseitig stärken. Ich denke, man erkennt gut, dass es uns um ein präzises und ressourcensparendes Weiterbauen ging.

 

Verbindungspavillon mit ehemaliger Außentreppe (Foto: Joanna Pianka)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Im Erdgeschoss die 50 Zentimeter starken Ziegel, dank derer keine Dämmung mehr nötig war. Sie sind ein wunderbares Material, das die Gebäudeform sofort spürbar macht.

Beim Obergeschoss handelt es sich hingegen um einen Holzriegelbau. Diese Konstruktion macht die gefaltete Geometrie in besonderem Maße erlebbar.

 

Blick vom Gemeinderaum in den Ort (Foto: Kurt Farasin)
Lageplan
Grundriss Obergeschoss
Bauwerk
Kindergartenzentrum Furth 
 
Standort
St. Wolfgang Weg 223, 3511 Furth bei Göttweig 
 
Nutzung
Kindergarten samt Kleinkindergruppe
 
Auftragsart
1. Preis an geladenem Wettbewerb
 
Bauherrschaft
Marktgemeinde Furth bei Göttweig
 
Architektur
GABU Heindl Architektur, Wien 
Projektleitung: Gabu Heindl 
Planungsteam Wettbewerb: Gabu Heindl, Dorotea Mandić, Lisa Schönböck, Hannah Niemand
Planungsteam Ausführung: Gabu Heindl, Katrin Dielacher, Hannah Niemand, Stana Marjanović
 
Fachplaner
Statik: Margarete Salzer, Ingenieurkonsulentin für Bauwesen, Wien
HKLS: Karin Mempör, Mempör Haustechnik GmbH, Ardagger
Bauphysik: Beatrix Armbruster, Hamp-Armbruster Bauphysik OG, Mitterndorf/Fischa
 
Bauleitung
Philipp Hirsch, TB Seidl GmbH, Krems an der Donau
 
Jahr der Fertigstellung
2021
 
Gesamtkosten
EUR 1,4 Mio. (inkl. Sanierungskosten Bestand, Neubau, Umbau, Gelände)
 
Energiestandard 
Niedrigenergie
 
Maßgeblich beteiligte Unternehmer 
Baumeister: WAGNER Baugesellschaft mbH, Schönbach 
Holzbau: Franz Schütz GesmbH, Kottes
Fensterbau: Fensterbau Svoboda, Krems an der Donau
 
Fotos
Andreas Buchberger, Kurt Farasin und Joanna Pianka

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