Terrasse macht Schule
Franz&Sue
16. August 2024
Der Bauplatz war eine Herausforderung: Die neue Volks- und Mittelschule in der Leopold-Kohr-Straße steht zwischen Supermärkten und Tankstellen, aber auch Wohnhäusern unterschiedlicher Größe an den Gleisen der Ostbahn und nahe der Nordrand Schnellstraße S2. Gerade deswegen ist der Bau ein wichtiger Eckpfeiler der städtischen Entwicklung Wiens. (Foto: David Schreyer)
Im Norden Wiens haben Franz&Sue eine neue Volks- und Mittelschule gebaut. Christian Ambos erklärt, wie sein Team den Bildungsbau auf aktuelle pädagogische Konzepte abgestimmt hat und auf das heterogene Quartier ringsherum einging.
Herr Ambos, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Schulbau ist eine besondere Disziplin, in der Raumqualitäten und Baukultur einem jungen Publikum auf verschiedenen Ebenen vermittelt werden können. Die Stadt Wien setzt seit einigen Jahren auf sogenannte Clusterschulen, in denen Klassen zu einem räumlichen Verbund zusammengefasst und mit dezentralen Pausenbereichen kombiniert werden. Das ist ein zeitgemäßes pädagogisches Konzept, das auch in der Architektursprache und der räumlichen Gestaltung interessante Lösungen ermöglicht.
Die großzügigen überdachten Gemeinschaftsterrassen bilden einen ganzjährig gut nutzbaren Ort zum Lernen und Spielen. (Foto: David Schreyer)
Die verspiegelten Brücken ergänzen das Atrium um ein verspieltes Gestaltungselement. (Foto: David Schreyer)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Der Nukleus des Clusters dient hier als (ideelle) Organisationseinheit. Das offene Atrium im Herzen der Schule fördert das Gemeinschaftsgefühl, großzügige Freibereiche ermöglichen verschiedene Unterrichtsformen auch im Freien. Dazu ergeben sich räumliche Beziehungen zwischen den Geschossen – sowohl in der Aula als auch auf den Terrassen. Die verspiegelten Brücken bilden im Atrium einen spielerischen Kontrapunkt zur zurückhaltenden Gestaltung und verwandeln es in einen ganz besonderen Raum, der Lust aufs Entdecken und viel Bewegung macht.
In den Clustern wechseln sich Bildungsräume und offene, multifunktionale Bereiche ab. (Foto: David Schreyer)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Unser Entwurf hat zwei Gesichter, mit denen er auf die Umgebung reagiert: Das Grundstück orientiert sich auf einer Seite zu den Gleisen der Ostbahn und zur Autobahn. Dort haben wir auf der »Gartenseite« die Freibereiche, Terrassen und Loggien als Filterschicht vorgesehen. Mit der anderen, der »städtischen« Seite erhält die Schule ein wichtiges städtebauliches Gesicht, das sie in ihrer sehr heterogenen und gleichzeitig eintönigen Umgebung verankert.
Bei diesem Projekt war die Stadt Wien unsere Auftraggeberin. Die Verantwortlichen dort schätzen Baukultur und sehen sie als Wert. Das inhaltlich innovative Raumprogramm förderte auch gute Architektur und ermöglichte interessante Lösungsansätze – so erhielten zum Beispiel die Terrassen geschosshohe Stahlseilnetze. Das schafft Sicherheit und bewahrt Transparenz. Die Netze sind gleichzeitig eine Rankhilfe für den wilden Wein, der die Fassade im Laufe der Zeit begrünen wird.
Jedes der Bildungscluster ist zirkulär aufgebaut und erhält von mehreren Seiten Tageslicht. (Foto: David Schreyer)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?
Der Entwurf ist grundsätzlich gleich geblieben. Zwar wurde die Organisation und Orientierung der Stiegenhäuser geändert, aber alle Anpassungen waren im Rahmen eines normalen Projektverlaufs.
Wir haben im Projekt verschiedene Dimensionen der Nachhaltigkeit einfließen lassen: Es war uns wichtig, flexible Räume zu schaffen, die auch neutral genutzt werden können. Ein wesentlicher Eckpfeiler im Gesamtkonzept war die Einbindung des Freiraums in jedem Geschoss. Mit der Nutzung von Photovoltaik und Geothermie ist die Schule zudem energietechnisch teilweise autark. Die Holzfassade gibt dem Gebäude in einem städtischen Umfeld eine Außenhaut, die altern darf. Und im Bereich der Terrassen setzen wir auf Fassadenbegrünung, die im Sommer auch zur Beschattung und Kühlung beiträgt.
Durch die geschosshohen Stahlseilnetze bleiben die Terrassen gesichert, ohne, dass der Ausblick beeinträchtigt wird. Im Laufe der Zeit wird wilder Wein daran emporranken. (Foto: David Schreyer)
Lageplan (© Franz&Sue)
Grundriss 1. Obergeschoss (© Franz&Sue)
Schnitt (© Franz&Sue)
Volks- und Mittelschule in der Leopold-Kohr-Straße
Standort
Leopold-Kohr-Straße 6, 1220 Wien
Nutzung
Bildungsbau
Auftragsart
Offener einstufiger Realisierungswettbewerb
Bauherrschaft
Stadt Wien, Magistratsabteilung 19 – Architektur und Stadtgestaltung
Architektur
Franz&Sue, Wien
Projektleitung: Friederike Dammaß und Edin Hadzovic
Mitarbeitende: Anita Bartos, Diana Jarincikova, Thomas Karl, Judith Mayr, Sophie Wiedemann und Jonas Kunzelmann
Fachplaner
Statik: Petz ZT GmbH, Wien
Bauphysik: IBO, Wien
Gebäudetechnik: Zencon, Katzelsdorf
Landschaftsplanung: EGKK Landschaftsarchitektur, Wien
Brandschutzplanung: Hoyer Brandschutz, Wien
Bauleitung
Stadt Wien, Magistratsabteilung 34 – Bau- und Gebäudemanagement
Fertigstellung
2023
Gebäudevolumen
54 250 m³ umbauter Raum
Maßgeblich beteiligte Unternehmer
Generalunternehmer und Baumeister: Swietelsky, Linz
Fassaden: M&P Holzbau, Neutal, und Metallbau Mörtl, Grafenstein
Betonfertigteile: Trepka, Obergrafendorf
Fenster: Felbermayer, Unterwaltersdorf
Türen: Metallbau Mörtl, Grafenstein
Maler: Schmied AG, Wien
Tischler: Scheschy, Neufelden
Schlosser: Kemmer, Bruck an der Lafnitz
Schwarzdecker/Spengler: Allitech, Wien
Fotos
David Schreyer