Bauen mit Birke
Der Klimawandel könnte resiliente Laubhölzer zum Baumaterial der Zukunft machen. Die deutsche Stadt Ingelheim hat die Erweiterung ihres Landratsamts als Pionierprojekt genutzt: Das Ingenieurbüro Fast + Epp konstruierte mit Unterstützung österreichischer Holzbauexperten einen zerlegbaren Bürobau aus Birkenholz.
Birke, Lärche oder Kiefer kommen bislang im Holzbau zusammen nur auf einen Marktanteil von maximal zehn Prozent. Doch im Zuge des klimabedingten Waldumbaus, bei dem der Anteil von Fichte und anderen Nadelhölzern schwindet, legen die Laubbäume anteilig zu und auch deren Preise gleichen sich an. Das prognostizieren Experten aus Holzwirtschaft und Bauplanung. Mehr noch: Aufgrund einer höheren Rohdichte, die den Brennwiderstand begünstigt, ist der Materialaufwand bei Birke um 30 Prozent geringer.
Dieser Erfahrungswert wurde bei der Erweiterung des Landratsamts von Ingelheim eindrucksvoll bestätigt und basiert auf den Erfahrungen des Ingenieurs Georg Jeitler, der den Bereich Qualität und Innovation bei der Hasslacher Gruppe leitet. Der österreichische Holzbauer hatten die Birke geliefert, die Jochen Stahl in Ingelheim verbaut hat. Der Darmstädter Tragwerksplaner ist Inhaber des auf Holzbau spezialisierten Büros Fast + Epp, dessen Gründer zu den Holzbaupionieren der 1980er-Jahren zählen, bei denen Stahl von 2003 bis 2013 im kanadischen Vancouver gearbeitet hatte.
»Die Birke wächst als erster Baum und ohne menschliches Zutun auf Freiflächen, zeitlich versetzt gefolgt von der Kiefer und der Douglasie«, sagt Jeitler. Hohe Resistenz und schnelles Wachstum zeichnen den Laubbaum aus, der nach 40 bis 65 Jahren bei einem Durchmesser von fast 30 Zentimetern erntereif ist. Für dessen Brettschichtholz wird ein Klebstoff verwendet, der für die Buche seit 2021 zugelassen ist. Die guten mechanischen Eigenschaften und die rasche Trocknung machen das Bauen mit Birke wirtschaftlich.
In Skandinavien, Kanada und Russland hat der Baum, der auch in kühleren Regionen wächst, einen Anteil von 30 Prozent, gefolgt von Fichte, Kiefer oder Pappel. In Norwegen, Schweden und Finnland kommt die Birke auf einen Bestand von 817 Millionen Vorratsfestmetern. Das entspricht dem Äquivalent an Buchen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Gros der Birke weltweit wächst in Russland und Nordamerika und wird bislang vorwiegend für Furnierschichtholz verwendet. Weil das eine hohe Qualität des Rundholzes erfordert, liegt der Ausschuss bei der Baumart entsprechend hoch.
Die Hasslacher Gruppe hatte 2012 in Graz erstmals mehrgeschossig mit Birke gebaut, um die industrielle und serielle Verarbeitung als Brettschichtholz zu erforschen. Laubholz war bis dahin eine extreme Ausnahme, wenngleich dazu seit 2005 geforscht und experimentiert wird, um eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung zu bekommen. Schwachpunkt war bisher die Festigkeit – ein Problem, an dessen Lösung zum Beispiel die Pollmeier Furnierwerkstoffe GmbH aus Creuzburg arbeitet. Die Firma entwickelt neue Verfahren für das Fügen und Verkleben. Auch forscht sie an beschleunigten Trocknungsverfahren und arbeitet am Produkt BauBuche.
Die Birke überzeugt auch mit hohen Querdruckeigenschaften, weshalb vor allem Planende und Architekturschaffende sich viel mehr mit dem Baustoff und dessen spezifischen Eigenschaften befassen müssten, meint Georg Jeitler: »Dr. Jochen Stahl und sein Team sind da leuchtende Beispiele, die tief in der Materie sind, etliche Projekte mit Birke bereits realisiert haben und damit einen hohen beratenden Ansatz bieten und wichtige Multiplikatoren in der Praxis sind.« Fachgerechte Planung mache das Bauen deutlich günstiger, weil nur die tragende Konstruktion massiv ausgeführt werden müsse. Zugunsten der Statiker und Brandschutzexperten merkt Jeitler an, dass aktuell wegen des Holzbau-Booms eine Vielzahl an Holzwerkstoffen und Verfahren neu auf den Markt komme, was es den Konstrukteuren erschwere, den Überblick zu behalten und die je spezifisch beste Lösung zu kennen. Jochen Stahl sei ein solcher Experte im Holzbau, der die Vorzüge der Birke kenne und diese optimal einsetze. Bei Birke komme man beispielsweise mit weniger Stützen aus, die die Flächennutzung oder die Sicht in einem Saal einschränken, hat der Planer festgestellt. Bereits im Sägewerk werden die Bretter vollautomatisch sortiert via Röntgen, Laservibrometrie und Bilderkennung.
Für Stahls Projekt in Ingelheim seien die getrockneten Hölzer per Bahn aus Russland und Finnland angeliefert worden. Aktuell arbeite man an der regionalen Verfügbarkeit der Birke in Deutschland und beziehe die Baumart ausschließlich aus Skandinavien. Für gut 30 Millionen Euro hatte der Landkreis Mainz-Bingen Ende 2023 in Ingelheim das viergeschossige Verwaltungsgebäude in Holzhybrid-Bauweise für 250 Mitarbeitende in Betrieb genommen.
2018 hatten die Planungen in konventioneller Bauweise begonnen, nachdem die Räume am 800 Meter entfernten Stammsitz, wo nach wie vor der Publikumsverkehr abgewickelt wird, für die mittlerweile 1400 Beschäftigten nicht mehr ausgereicht hatten. Tragwerksplanung, WU-Konzept und die Nachweise für Brandschutz und Bauphysik erbrachte das Ingenieurbüro Fast + Epp. Dessen Expertise und Mut, sich mit eigenen Ideen einzubringen, sorgte dafür, dass das Gebäude schließlich fast ausschließlich in Holz realisiert wurde. Da alle tragenden Bauteile durch Laubholz ersetzt werden sollten, wurde eine angepasste Genehmigungsstatik erstellt, die mit Verstärkungen auf der Basis des vorhandenen Rasters erteilt wurde.
Die vertikalen Lasten des Gebäudes werden von Pendelstützen aus Brettschichtholz abgetragen. Auf den Unterzügen liegen 20 Zentimeter starke vorgefertigte fünf- bis siebenlagige Brettschichtholz-Deckenelemente. Insgesamt bilden 810 Holzstützen, 790 Holzunterzüge und 2200 Quadratmeter Holzdecken das Gebäude. Diese wurden im Werk vorgefertigt, während das Untergeschoss errichtet wurde, sodass sich durch die Parallelarbeit die Bauzeit um ein Jahr verkürzte. Da sämtliche Module gesteckt wurden, was die Demontage und Zweitverwertung in 100 oder 200 Jahren erleichtert, erübrigten sich Stahlbauteile an den Verbindungen. Lediglich aus Brandschutzgründen wurden einige Oberflächen verkleidet. Weil alle Trennwände zudem nichttragend sind, ist auch eine spätere räumliche Veränderung leicht möglich. Die serielle Fertigung der Holzmodule verkürzte zudem signifikant die Bauzeit und Montage vor Ort.
Insgesamt wurden 2000 Kubikmeter Fichten- und Birkenholz verbaut, was allein schon 2000 Tonnen CO2 gegenüber einer herkömmlichen Bauweise in Stahlbeton im Holz speichert. Hinzu kommt eine jährliche Einsparung von 200 Tonnen CO2 im laufenden Betrieb, weil das Gebäude im KfW55-Standard errichtet ist. Zwar war das Laubholz auf den Kubikmeter gerechnet 25 Prozent teurer als Fichte, doch dafür wurde 30 Prozent weniger Holzvolumen verbaut.