Das Enfant terrible der Wiener Werkstätte

Susanna Koeberle | 7. Februar 2025
Blick in die Ausstellung »PECHE POP. Dagobert Peche und seine Spuren in der Gegenwart« (Foto: © MAK/Christian Mendez)

Man könnte meinen, man sei in einer Art Paralleluniversum oder einer Traumwelt gelandet: Nach einem quasi leeren Vorraum, der Besuchende einige biografische Eckdaten Dagobert Peches nahebringt, betritt man die Ausstellung »PECHE POP. Dagobert Peche und seine Spuren in der Gegenwart« durch ein mit unterschiedlich geformten Vorhangelementen versehenes Tor. Links davon weist ein überdimensionaler leuchtender Blitz den Weg in die Schau. Dieser Alice-im-Wunderland-Effekt kommt nicht von ungefähr. Die Arbeit von Dagobert Peche hat definitiv etwas Ver-rücktes. Er mischte unterschiedliche und für seine Zeit unübliche Stile, wobei auch die Maßstäblichkeit der Stücke eigentümliche Verrückungen erfährt. Einiges wirkt überlang, anderes übertrieben klumpig. Heute würde man diese klobige Ästhetik »chuncky« nennen. Und das Skurrile, Verspielte und Exzentrische seiner Entwürfe wäre mit dem Trendwort »edgy« gut getroffen. Jedenfalls wirken seine Entwürfe formal und farblich erstaunlich modern. Auch wenn die Formensprache aus einem wilden Mix an Referenzen besteht, besitzt seine Arbeit einen unverwechselbaren Peche-Touch. Vielleicht ist es das gekonnte »Sampeln« bei gleichzeitiger Präzision und Schärfe, was die Besonderheit seiner Arbeiten ausmacht. Sein Einfluss auf nachfolgende Generationen von Gestalterinnen und Künstlern ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass sein Werk innerhalb eines Jahrzehnts entstanden ist. Dagobert Peche starb 1923 mit nur 36 Jahren.

Foto: © MAK/Christian Mendez

Peche, der 1887 in einer ländlichen Gegend geboren wurde, wollte eigentlich Künstler werden, studierte aber auf Wunsch des Vaters Architektur in Wien. Schon bald zeigte sich seine Faszination für den ornamentalen Rokoko-Stil, dem er auf einer Reise nach Paris begegnete. Kurz danach entsteht 1912 sein Stuhl »Der erste Sessel«, bei dem sich schon zeigt, wie eigenständig Peche stilistische Elemente des Rokokos interpretiert. Bei aller »Zierwut«: Es ist auch das bewusste Weglassen von Ornamenten, das die unterschiedlichen Referenzen in ein ganz neues Licht rücken. So führt der schwarz-goldene Salonschrank aus dem Jahr 1913 die Mischung aus geometrischer Strenge, die typisch für die Wiener Werkstätte war, mit opulenten Blumenmustern vor, die man aus dem Rokoko kennt. Auch die gebogenen Füße, die zum Schrankkörper in einem merkwürdigen Kontrast stehen, wurden zu einem Stilmerkmal seiner Arbeit. Doch obwohl sich gewisse Elemente wiederholen, ist sein Schaffen keinem übergeordneten Credo verpflichtet. Die einzelnen Werke leben von ihrem autonomen künstlerischen Ausdruck.

Dagobert Peche, Salonschrank, 1913; Ausführung: Jakob Soulek, Birnbaumholz schwarz gebeizt, Lindenholz geschnitzt und vergoldet (Foto: © MAK)
Marco Dessí, Schrank »Dagobert Peche Revisited«, 2012; Ausführung: Karl Neubauer, Birkensperrholz und Stahlrohr gelb gefärbt (Foto: © MAK)

So macht es durchaus Sinn, dass sich die Schau seinem Werk thematisch nähert statt klassisch chronologisch. Das schafft assoziative Querbezüge innerhalb des Werks und bindet zugleich die zeitgenössischen Arbeiten anderer Kunstschaffender ideal ein. Den sieben thematischen Räumen – etwa »Unheimlich«, »Boudoir«, »Unmögliche Räume« oder »Metamorphose« – werden jeweils Zitate von Peche vorangestellt. Sie veranschaulichen die Reflexionsebene, die für sein Wirken ebenso entscheidend war wie sein gestalterischer Raptus. Das Thema Metamorphose scheint eine Konstante zu sein, sowohl materiell als auch formal. Peche verwandelte Dinge und arbeitete dabei gezielt auch mit den Mitteln der Illusion und Verfremdung, indem er Materialien als andere erscheinen ließ. Das Motiv der Nymphe Daphne, die auf der Flucht vor dem liebeswütigen Apollon von ihrem Vater in einen Lorbeerstrauch verwandelt wurde, ist wiederkehrend. In dieser Figur widerspiegelt sich auch Peches Hang zur Ambivalenz. Obschon Daphnes hybride Erscheinung zwischen Mensch und Pflanze heute eine versöhnliche Lesart erlaubt, liegt in dieser Figur auch etwas Tragisches und Ruheloses. Das legt jedenfalls das Zitat nahe, dem Besuchende vor der Sektion »Metamorphose« begegnen: »Es ist alles langsam, es ist das Gefühl des Grauens dabei, die Freude, alles schleicht, kommt auf leisen Schuhen aus Pelz mit wachsenden Blättern, die mich nicht ruhen lassen. Es ist, glaube ich, die Daphne, die immer kommt und vergeht, die mit dem Schmerz im Auge mit Freuden wächst. Es ist das schleichende Gefühl, durchsetzt von den aufflackernden Sternen dieser Welt. Alles ist nur eine Empfindung«, schreibt Dagobert Peche 1915 in einem Brief an Mathilde Junger. 

Dagobert Peche, Stoffbahn »Regenbogen«, 1919, Seide bedruckt (Foto: © MAK)

Wie gekonnt und leichtfüßig der Gestalter und gelernte Architekt bestimmte Motive durchdeklinieren konnte, zeigt sich insbesondere bei seinen Raumgestaltungen. Etwa in seinem Entwurf für die Zürcher Filiale der Wiener Werkstätte, die er zwischen 1917 und 1919 leitete und die bis 1921 bestehen sollte. Wieder taucht Daphne auf: als Statuette beziehungsweise als abstrahiertes Lorbeermuster bei den Schränken, den Kommoden und der Tapete. Peches Begabung für die räumliche Inszenierung ist frappant. Seine Räume beeindrucken durch die All-Over-Gestaltung: Peche entwarf nicht nur Mobiliar, sondern auch Vorhänge und Tapeten und schuf damit ein immersives Raumgefühl, das die Gegensätze Ornament und Gradlinigkeit oder Fläche und Volumen vereint. Es sind regelrechte Raumschöpfungen, fast könnte man von surreal anmutenden Gegenwelten sprechen. Zu seinen Meisterwerken gehört die Wohnung für den Wiener Architekten, Designer und Kunstsammler Wolko Gartenberg. Dabei haftet der Wohnung etwas von einer Kulisse oder einem Filmsetting an; Peche entwarf tatsächlich auch Kostüme und Bühnenbilder. In diesem Interieur setzte der Gestalter das für ihn typische »Ombré« ein, wobei auch dieses Motiv unterschiedliche Transformationen durchmachte. Textilien mit fließenden Farbverläufen sieht man heute wieder überall, in der Mode oder im Design. In der Ausstellung tritt Peches Ombré-Motiv mit einem Vorhang des Künstlers Olaf Nicolai in Dialog.

Dagobert Peche, Interieur der Wohnung Gartenberg, 1921/22 (Foto: © MAK)

Dass Dagobert Peches überbordendes Formenvokabular in den 1980er-Jahren, der Zeit der Postmoderne, wiederentdeckt wurde, erstaunt kaum. Trotz Parallelen bleiben seine Erfindungsgabe und Radikalität unerreicht. Der künstlerische Ausdruck kann sich bei ihm zu zweckfremden Artefakten verselbständigen, die dennoch in den meisten Fällen als Gebrauchsobjekte »funktionieren«. Wie Peche Fantasie und Funktionalität vereint, ist absolut faszinierend; Objekte haben bei ihm etwas fast »Übernatürliches«. Das Wesenhafte vieler Entwürfe – etwa das Kabinett, das wie eine Fledermaus aussieht – lässt an das animistische Verständnis von Gegenständen und Objekten denken. Seine Entwürfe regen dazu an, über die materielle Beschaffenheit von Dingen und ihr Eigenleben zu reflektieren. 

Dagobert Peche, Schaukasten für die Kunstschau Wien, 1920, Weichholz blau-weiß gestrichen; Wiener-Werkstätte-Tapete »Laube« nach einem Entwurf von Dagobert Peche (Foto: © MAK/Georg Maye)

Die Schau im MAK schafft es, das schillernde Werk von Dagobert Peche und die Aktualität seines gestalterischen Universums klar zu vermitteln, ohne ihn festnageln zu wollen. Auch die Szenografie von Claudia Cavallar liefert räumlich dezente Hinweise auf die multiplen Welten, die sich bei den Kreationen des Wiener Ornamentgenies überlagern. 

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