Mehr als Speer – Planen und Bauen im Nationalsozialismus

Falk Jaeger
27. April 2023
Gipsmodell der Großen Halle von Albert Speer, die nach dem Willen Hitlers im Berliner Spreebogen hätte errichtet werden sollen. (Modellfoto: © Bundesarchiv, Sammlung von Repro-Negativen, Bild 146-1986-029-02, CC-BY-SA 3.0)

»Jede große Zeit findet ihren abschließen­den Wertausdruck in ihren Bauwerken. Wenn Völker große Zeiten innerlich erleben, so gestalten sie diese Zeiten äußerlich. Ihr Wort ist dann über­zeugender als das gespro­chene: Es ist das Wort aus Stein!« Der das in einer Rede 1938 in München formulierte, Adolf Hitler nämlich, war in jungen Jahren durch die Aufnahmeprüfung der Kunstakademie in Wien gefallen. Doch der Rektor hatte ihm die Eignung zum Architekten bescheinigt. »In wenigen Tagen wußte ich nun auch selber, dass ich einst Baumeister werden würde«, schreibt er dazu in »Mein Kampf«. Es kam anders: Auf dem Feld der Architektur blieb er wie zuvor schon Kaiser Wilhelm II. begeisterter Dilettant. Trotzdem hatte er in der Architektur wie in der Politik Großes vor.

Seine umfangreichsten Bauvorhaben blieben kriegsbedingt Utopie. Doch was von Aachen bis Stettin und Breslau, von Hamburg bis Berchtesgaden realisiert wurde, ist heute kontrovers diskutierte Hinterlassenschaft: Erhalten oder ächten, unter Denkmalschutz stellen oder abreißen, pragmatisch nutzen oder als Gedenkort präparieren? Angesichts der Masse und der Vielfalt des baulichen Erbes jener zwölf Jahre gibt es keine Norm.

Modell des zu »Germania« umgestalteten Berlins aus dem Jahr 1939. (Modellfoto: © Bundesarchiv, Sammlung von Repro-Negativen, Bild 146III-373, CC-BY-SA 3.0)

Bauen im Nationalsozialismus war indes mehr als monumentaler Neoklassizismus. »Mehr als Speer« lautet denn auch der Arbeitstitel einer Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz, jenem Ort also, an dem Albert Speer als »Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt Berlin« für die Zeit nach dem »Endsieg« die »Reichshauptstadt Germania« geplant hat. Anlass ist der Abschluss des durch das Bundesbauministerium beauftragten Forschungsprojekts »Planen und Bauen im Nationalsozialismus. Voraussetzungen, Institutionen, Wirkungen«, dessen Ergebnisse öffentlich vorgestellt werden sollten. 28 Forscherinnen und Forscher hatten fünf Jahre an dem Projekt gearbeitet. Vier Bände mit über 1300 Seiten umfasst die wissenschaftliche Publikation (Hirmer Verlag), die sie vorgelegt haben.

Die NS-Architektur ist durchaus schon Gegenstand umfangreicher Forschungsarbeiten gewesen. Vor allem ihre Funktion als petrifizierte Macht von Partei und Staat, ihre politische Semantik, ihre verschiedenen Ausprägungen (Reduktionsklassizismus für monumentale Staats- und Repräsentationsbauten, funktionalistische Moderne für den Industriebau sowie regionale, heimatverbundene Bauformen für Kasernen, Jugendherbergen, Erholungsheime und dergleichen in der Provinz), aber auch ihr Fortleben in den Planungsämtern nach dem Krieg wurden bereits verschiedentlich untersucht.

Blick eines Teilnehmers auf das Zeppelinfeld in Nürnberg während des Parteitags der NSDAP im Jahr 1933. (Foto: © Museen der Stadt Nürnberg, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, Ph-0014-04)

Wohl deshalb lagen die Schwerpunkte des Forschungsprojekts der unabhängigen Historikerkommission nicht im vordergründigen Bereich der architektonischen Gestaltung und der Stilfragen. Es ging um politische und gesellschaftliche Aspekte des Bauens, den Umstand, dass das Bauen alle Lebensbereiche durchdrang und »sowohl der Integration der ›Volksgenossen‹ als auch dem völkisch-rassischen Ausschluss und der Vernichtung von ›Gemeinschaftsfremden‹ diente«. Es ging – jenseits der wenigen realisierten Repräsentationsbauten – um die vielen in ganz Deutschland entstandenen Wohnsiedlungen, Rüstungskomplexe, Verwaltungsbauten, Kasernen, Autobahnen und Konzentrationslager. Es ging um die persönliche Mitverantwortung von Bauschaffenden für die Errichtung des Terrorsystems, aber auch um die Verdrängung, Verharmlosung und Ausblendung deren Teilhabe am NS-Staat nach dessen Ende.

Ein ungeheures Forschungspensum also, dessen Ergebnisse sich aufgrund der Vielfalt und der Materialfülle niemals in einer Ausstellung abbilden lassen. So musste es in den verschiedenen Abteilungen bei jeweils wenigen, oft willkürlich und zusammenhanglos erscheinenden Beispielen und (überwiegend) Fotos bleiben. Bei den internationalen Zusammenhängen etwa: hier ein wenig Mussolini, da Iofans Sowjetpalast, dort die Franklin D. Roosevelt zugeschriebene Karte der Vereinigten Staaten von 1938, in der er ein Raster von Autobahnen eingezeichnet hat. So gesehen ist der Versuch, ein breit angelegtes, interdisziplinäres Forschungsvorhaben in vier Sälen einer Ausstellung zur präsentieren, fehlgeschlagen.

Insbesondere ist es nicht wirklich gelungen, über die Präsentation von Fakten und Fallbeispielen hinaus wirklich neue oder gar überraschende Erkenntnisse zu vermitteln. Dazu bedarf es vor allem vieler Texte. Nur vereinzelt bringen Besucherinnen und Besucher aber die Zeit und die Konzentration auf, sich alle Texte einer solchen Ausstellung durchzulesen und gar zusätzlich alle Filme anzusehen. Unabdingbar sind deshalb kurze, prägnante Einführungstexte der einzelnen Abteilungen, die es erlauben, die jeweilige Kernaussage zu rezipieren und zu entscheiden, ob man sich die betreffende Abteilung näher ansehen möchte oder sich lieber auf andere Aspekte konzentriert. Die gibt es zwar, doch sie sind nicht prägnant genug und oft unglücklich positioniert. Man beobachtet viele Besuchende, die mehr oder weniger orientierungslos umherschlendern, sich hier und da von Bildern fesseln lassen und dann die Bildunterschriften lesen.

Albert Speer (links) und Adolf Hitler diskutieren Baupläne des Reichsparteitagsgeländes. Die Aufnahme entstand um 1934/35. (Foto: © Bundesarchiv, Sammlung von Repro-Negativen, Bild 146-1971-016-31, CC BY-SA 3.0)

Für Menschen, die sich mit dem Thema schon befasst haben, die um die Zwangsarbeit in Steinbrüchen und auf Autobahnbaustellen wissen, die von den idyllischen Kleinsiedlungen als die vom Regime favorisierte ideale Wohnform gehört haben, die Nürnberg, Dachau und Auschwitz besucht haben, die Albert Speers »Erinnerungen« gelesen haben und die wissen, dass der »Reichsarchitekt der Hitlerjugend« und Speer-Mitarbeiter Hanns Dustmann nach dem Krieg für RWE und Victoria Hochhäuser und in Berlin das Café Kranzler gebaut hat, bietet der Ausstellung »Macht Raum Gewalt« wenig Neues.

Dennoch handelt es sich natürlich um ein verdienstvolles Unterfangen, das Thema der NS-Architektur in allen Facetten einer breiteren Öffentlichkeit nahezubringen – auch den zahlreichen Touristen am Brandenburger Tor. Wie funktioniert Architektur als Unterdrückungsinstrument? Wie war das Bauwesen im NS-Staat politisch und administrativ organisiert? Was war in den eroberten Gebieten im Osten geplant? Wie hat man durch Bunkerbau und Wiederaufbaupläne in den 1940er-Jahren auf den Bombenkrieg reagiert? Solche Fragen werden angerissen.

Zu empfehlen ist der preisgünstige Katalog, der zu den in der Ausstellung naturgemäß knapp dargestellten Themen und Exponaten weiteres Material beigibt und vieles leistet, was die Ausstellung schuldig bleiben muss. Ein umfangreiches Veranstaltungs- und Filmprogramm, Führungen unterschiedlicher Formate sowie ein Bildungsprogramm für Schülerinnen und Schüler ergänzen das Informationsangebot.

Die Schau »Macht Raum Gewalt. Planen und Bauen im Nationalsozialismus« läuft noch bis zum bis 16. Juli dieses Jahres in der Berliner Akademie der Künste (Pariser Platz 4). Sie ist dienstags bis sonntags von 11 bis 19 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei. 
 

Planen und Bauen im Nationalsozialismus – Voraussetzungen, Institutionen, Wirkungen

Planen und Bauen im Nationalsozialismus – Voraussetzungen, Institutionen, Wirkungen
Unabhängige Historikerkommission Planen und Bauen im Nationalsozialismus (Hrsg.)
4 Bände

220 x 310 Millimeter
1304 Seiten
1024 Illustrationen
Gebundene Bücher im Schuber
ISBN 978-3-7774-4114-6
Hirmer Verlag
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