Zwei Systeme, die Wissen schaffen

Susanna Koeberle | 16. Mai 2025
»Better Living« heißt für die Kuratoren und die Kuratorin des österreichischen Biennale-Beitrags besser wohnen. (Foto: © Flavia Rossi)

Rom und Wien: zwei europäische Metropolen, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben. Genau das macht eine Gegenüberstellung zweier Formen städtischer Intelligenz – um es mit dem Biennale-Motto von Carlo Ratti zu sagen – umso spannender. Ausgangspunkt ist nicht nur die Feststellung eines globalen Wohnungsproblems, sondern überdies die Diagnose einer Polykrise, die sich unter anderem in Hitze, sozialer Ungleichheit oder Kriegen ausdrückt. Damit ist noch nichts Neues gesagt. Doch der Vergleich der beiden urbanen Realitäten erweist sich als extrem spannend. Pollak, Obrist und Romito stellen das Top-down-Modell des sozialen Wohnbaus in Wien den Bottom-up-Praktiken der Selbstorganisation der Zivilgesellschaft in Rom gegenüber. Der Pavillon verbindet die Vermittlung von Inhalten mit einer gewissen Portion Aktivismus, ohne dabei in Alarmismus oder platte Polemik zu verfallen. Schon dafür gebührt diesem Pavillon großes Lob.

Die Geschichte des Wohnens in der italienischen Hauptstadt wird im Rom-Trakt anschaulich. Die visuelle Kommunikation stammt von Bueronardin aus Wien. (Foto: © Flavia Rossi)

»Wohnungen sind zu Finanzprodukten geworden«, konstatieren Pollak und Obrist in einem gemeinsam verfassten Text; statt eines Katalogs ist eine ganze Ausgabe der deutschen Architekturzeitschrift ARCH+ dem diesjährigen Österreich-Pavillon gewidmet. Das Heft gibt einen fundierten Einblick in unterschiedliche Themen der beiden Städte – eine Ausgabe, die man definitiv behalten sollte. Nicht zuletzt, weil das Thema auf der ganzen Welt mit jedem Tag an Relevanz zunimmt. Die Krise des Wohnens ist auch in Europa spürbar; Analysen und Präsentationen wie diese tragen dazu bei, die Situation besser zu verstehen und Handlungsmöglichkeiten zu erkennen. Interessant ist dabei zum einen die Einsicht, dass Urbanität nicht primär durch Bauen entsteht, sondern eben durch Wohnen. Die Lösung für die Krise liegt demnach nicht primär in einem neuen Bauen, sondern in neuen Praktiken des Wohnens. Und genau diese führen zu einem »besseren Leben«. Zum anderen spinnen die Kuratoren und die Kuratorin durch die Gegenüberstellung von Wien und Rom ein »Lernen-von-Narrativ«, das nicht platt ist, sondern durchaus erfolgversprechend. Das ist angesichts der großen Unterschiede der beiden Städte – nicht nur historisch und klimatisch, sondern auch die Mentalität betreffend – nicht selbstverständlich.

Das Kuratorenteam bestehend aus Lorenzo Romito, Sabine Pollak und Michael Obrist. (Foto: © art-phalanx)

Das Team nutzt die Symmetrie des Pavillons von Josef Hoffmann, um die Ausstellung räumlich und inhaltlich zu gliedern. Dadurch bekommt der Dialog zwischen den beiden Städten ein klares Setting, das je nach Interesse ein Vertiefen auf unterschiedlichen Ebenen ermöglicht. Die beiden einleitenden Filme zu den beiden Hauptstädten haben eine angenehme Länge und lassen das Publikum an Geschichte und Gegenwart teilhaben. Alle Diagramme, Timelines oder Karten sind klar gestaltet und werden durch Fotografien und kleine Bildschirme belebt. Der Hof wiederum lädt zum Austausch und zum Diskutieren ein. Von Juni bis Oktober finden zweimal pro Monat jeweils am Freitag oder Samstag Präsentationen, Talks und Workshops statt, die sich Themengruppen wie Ökonomie, Migration, Natur, Klima oder Tourismus widmen.

Zunächst also Wien: Die Stadt liegt seit vielen Jahren in verschiedenen internationalen City-Rankings zur Lebensqualität weit vorne. Wie auch immer man zu diesem Resultat kommt: Irgendetwas muss die Stadt richtig machen oder zumindest bis anhin richtig gemacht haben. Ein historischer Abriss zeigt, dass der institutionalisierte Wohnungsbau in Wien zwischen 1919 und 1934 entstand; diese Phase ist auch als das Rote Wien bekannt. Wien kann also von hundert Jahren Wissen in der Wohnbauplanung profitieren, um sich aktuellen und künftigen Herausforderungen zu stellen. Was auf den ersten Blick als modellhafte Praxis wirkt, hat allerdings auch Schattenseiten. 

Wiens Wohnungsbau wird an neun Stationen aufgearbeitet. (Foto: © Flavia Rossi)

Genau dort kommt das Gegenmodell Rom ins Spiel. Denn in dieser als chaotisch verrufenen Stadt haben die Kuratoren und die Kuratorin mögliche Antworten auf Fragen gefunden, die sich in Wien stellen. Die Geschichte des Wohnens in Rom ist durch Mythen und politisches Scheitern geprägt. Doch im Gegensatz zu Wien funktioniert in Rom soziale Inklusion von unten. Zivilgesellschaftliche Initiativen eignen sich leerstehende Gebäude an und zeigen dadurch alternative Organisationsmodelle auf. Solche Lösungen reagieren nicht nur flexibler auf sich schnell wandelnde Szenarien, sie zeugen auch von menschlicher Resilienz und Anpassungsfähigkeit. Und diese Eigenschaft werden wir alle und überall auch in Zukunft vermehrt brauchen – gerade, was die Themen Wohn- und Lebensraum betrifft.

Der Hof lädt zum Austausch und zum Diskutieren ein. (Foto: © Flavia Rossi)

Verwandte Artikel