Friedrich Kiesler war ein Visionär. Seine »Raumstadt« ist Thema einer neuen Schau in Wien

Manuel Pestalozzi
8. Februar 2022
Friedrich Kiesler, hier 1959 in New York bei der Arbeit am Modell seines »Endless House«, dachte Raum radikal und ohne Einschränkungen. (Foto © Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler Privatstiftung, Wien)

 

Als Friedrich Kiesler 1925 von Josef Hoffmann (1870–1956) eingeladen wurde, die österreichische Theatersektion auf der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes in Paris zu gestalten, nutzte er dies, um seine »Raumstadt« zu präsentieren. Er installierte eine monumentale, von der Decke herabhängende geometrische Struktur. Neben ihrer eigentlichen Funktion als Trägerin der Ausstellungsstücke diente sie ihm vor allem als modellhafte Visualisierung seiner Idee einer frei im Raum schwebenden Stadt der Zukunft, die er mit großem medialen Aufwand propagierte und auch als Manifest ausformuliert hatte. Neben dem famosen sowjetischen Pavillon von Konstantin Melnikow und dem Pavillon de L’Esprit Nouveau von Le Corbusier und Pierre Jeanneret gehörte die Raumstadt zu den radikalsten architektonischen Konzepten der Ausstellung. Schon damals fand sie große Beachtung in der internationalen Kunst- und Architekturszene. Und bald avancierte sie zu einer Architekturikone des 20. Jahrhunderts.

 

Die schwebende Installation in der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes in Paris erhielt große Aufmerksamkeit. (Foto © Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung, Wien)

 

1926 wanderte Friedrich Kiesler in die Vereinigten Staaten aus. Dort arbeitete er als Künstler, Dekorateur, Designer, Architekt und Bühnenbildner. Sein vielleicht berühmtestes Werk ist der Schrein des Buches in Jerusalem (1950–1960). Der Bau, der zum Israel Museum gehört, gilt vielen als Lebenswerk Kieslers. Nicht ganz korrekt zwar, aber doch höchst wertschätzend bezeichnete ihn der amerikanische Architekt und Theoretiker Philip Johnson (1906–2005) als »größten nichtbauenden Architekten seiner Zeit«. 

Die Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler Privatstiftung wurde Mitte der 1990er-Jahre im Zuge des Erwerbs des Nachlasses von Friedrich Kiesler durch die Republik Österreich und die Stadt Wien gegründet. Sie erforscht seither das Erbe des österreichisch-amerikanischen Architekten, vergibt den wichtigen Friedrich-Kiesler-Preis und organisiert an ihrem Sitz in der Wiener Mariahilfer Straße Ausstellungen. Nun feiert sie ihr 25-Jahr-Jubiläum mit einer neuen Schau, deren Thema die Raumstadt ist. Gezeigt wird sie noch bis zum 27. Mai 2022. In ihr werden neben dem Raumstadt-Manifest auch viele Fotografien präsentiert, ein Modell und verschiedene Tondokumente. Ein Begleitprogramm mit Ausstellungsgesprächen ist derzeit in Vorbereitung genau wie eine Publikation.

 

»Statt Ornamenten glatte Mauern, statt Kunst Architektur – nichts von alldem: ich fordere den Vitalbau, die Raumstadt, die funktionelle Architektur«, schrieb Friedrich Kiesler in sein Manifest zur Organisation der modernen Stadt. (Foto: J. Roseman © Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler Privatstiftung, Wien)

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