Mustergültige Architektur

Katinka Corts | 5. Dezember 2024
KinderKunstLabor, 2024. Architektur: Schenker Salvi Weber Architekten, Bauherrschaft: Stadt St. Pölten. (Foto: Patrick Johannsen)

In immer mehr Auslobungen für Architekturpreise heißt es, die Jury suche nach besonders nachhaltigen und qualitativ hochstehenden Projekten. Die ausgezeichneten Bauten sollen Vorbild sein. Beim österreichischen Bauherr:innenpreis sind eine umweltfreundliche Bauweise, soziale Nachhaltigkeit und ein hoher baukultureller Wert schon lange entscheidende Bewertungskriterien. Die Jury betrachtet das Zusammenspiel von Bauherrschaft, Planenden und Bauenden und bezieht bei ihrer Bewertung auch den Umgang mit dem baulichen und sozialen Umfeld ein. In der aktuellen Flut von Architektur- und Designpreisen ist das angenehm, denn es trennt eher die Spreu vom Weizen und den oberflächlichen Hochglanz von der inhaltlichen Tiefe, als die rein ästhetische Beurteilung eines Bauwerks. 

»Die Verbundenheit mit dem ausgezeichneten Bauherrn – der nicht notwendigerweise nur der Geldgeber, sondern etwa auch der Nutzer oder Ideenspender sein kann, der für das Konzept und seine Durchsetzung Verantwortliche – wird gewürdigt.«

Hans Hollein, bis 2007 Präsident und bis zu seinem Tod 2014 Ehrenpräsident der Zentralvereinigung der Architekt:innen Österreichs, über den Bauherr:innenpreis

Die Zentralvereinigung der Architekt:innen Österreichs verleiht den Bauherr:innenpreis bereits seit 1967. Der Preis fußt auf der Einsicht, dass nur Bauherren und Architektinnen gemeinsam neue Standards setzen und damit einen Mehrwert für die Baukultur schaffen können. Der Preis stehe, so fasst es die Jury in ihrem Resümee zusammen, für die Überzeugung, dass »Architektur ihre gesellschaftliche Relevanz am wirksamsten in einer Kultur des Dialogs entfalten kann, in der sich die Vorstellungen von Auftraggeber:innen […] und die konkreten Planungsleistungen von Architekturschaffenden gegenseitig stärken«.

Auch dieses Jahr haben die Nominierungsjurys der Bundesländer alle 119 eingereichten Objekte im Sommer besichtigt und 23 von ihnen in die engere Wahl genommen. Diese besuchte die Hauptjury im Rahmen einer fünftägigen Rundreise und entschied sich schließlich für die Siegerprojekte. Dem jedes Jahr neu besetzten Gremium gehörten diesmal die Wiener Architekturpublizistin Gabriele Kaiser, der Südtiroler Architekt Armin Pedevilla und sein Kollege Yves Schihin aus Zürich an. In den Nominierungsjurys bewerteten insgesamt 27 Jurorinnen und Juroren die Bauten. Doch warum genau konnten sich die sieben Siegerprojekte aus dem Burgenland, aus Kärnten, Niederösterreich, Tirol und Vorarlberg durchsetzen? 

Einfamilienhaus mit Schilfdach, 2022. Architektur: Gilbert Berthold, Bauherrschaft: Marina Rosa und Jacobus van Hoorne (Foto: Gilbert Berthold)
Wohnanlage Auenweide, 2022. Architektur: einszueins architektur, Bauherrschaft: Verein Wohnprojekt Wördern (Foto: Hertha Hurnaus)
Buchhammerhof Martinsbach, 2023. Architektur: Harald Kröpfl, Bauherrschaft: Wilhelm Buchhammer (Foto: Peter Philipp)
Wohnen in kleinem und großem Maßstab

Drei unterschiedliche Wohnbauprojekte erhielten eine Auszeichnung: ein kleines Hofgebäude, ein neues Haus mit Stroheindeckung und eine große Wohnanlage mit mehreren Gebäuden und Gemeinschaftsflächen. Der Buchhammerhof Martinsbach ist ein Umbauvorhaben und zeigt beispielhaft die gelungene Wiederbelebung eines brachliegenden Doppel-Paarhofs. Die proaktiv eingeleitete Unterschutzstellung durch das Bundesdenkmalamt sichert den Erhalt des Hofs für die Zukunft. Er konnte dank der Neugestaltung und baulichen Erneuerung als regionales Kulturerbe bewahrt werden.

Tradition und Handwerk sind jedoch nicht nur elementar für gelungene Umbauten, sondern auch für architektonisch anspruchsvolle neue Häuser: Das Potenzial eines frei geformten Schilfdachs in zeitgemäßer Anwendung ist beim Einfamilienhaus von Gilbert Berthold zu sehen, das die Jury auszeichnete. Der Neubau verhilft einem regional tief verwurzelten Handwerk wieder zu Ansehen. Der Bauherr, selbst Schilfschneider und Schilfdachdecker, erbrachte im Brandversuch den nötigen Nachweis, dass eine Schilfdacheindeckung auch in einer dicht bebauten Gegend baurechtlich möglich ist.

Ebenfalls einen Präzedenzfall, jedoch für gemeinschaftliches Wohnen im ländlichen Raum ist die Wohnanlage Auenweide. Sie beweist, dass leistbarer Wohnraum, typologische Vielfalt und umweltfreundliches Bauen kein Widerspruch sein müssen. Die hohe Dichte der Überbauung ermöglicht im Gegenzug den Erhalt eines großen Waldstücks, zudem blieb genug Platz für einen Gemeinschaftsgarten.

Drauforum Oberdrauburg, 2023. Architektur: Architekturbüro Eva Rubin, Bauherrschaft: Marktgemeinde Oberdrauburg (Foto: Christian Brandstaetter)
Für Kultur und Gemeinschaft

Neue Räume für die Gemeinschaft entstanden mit dem ausgezeichneten Drauforum in Oberdrauburg und dem KinderKunstLabor in St. Pölten. Beim erstgenannten Projekt überzeugte die Integration eines multifunktionalen Kulturzentrums in den historischen Ortskern, wodurch ein identitätsstiftender Ort für die Gemeinde entstand. Die Weitsicht der Bauherrschaft, die sich frühzeitig das Baurecht auf dem Dach des bestehenden Supermarkts sicherte, ermöglichte die Umsetzung des Projekts. 

Am KinderKunstLabor wiederum gefiel der Jury besonders, dass der Neubau weder ein herkömmliches Kindermuseum noch ein klassisches Ausstellungshaus für zeitgenössische Kunst ist. Die Gestaltung der Räume wurde in Workshops mit eigens eingesetzten Kinderbeiräten entwickelt. Dass es in diesem Haus auf allen Ebenen um künstlerische Erfahrungsräume geht, wird auch auf der Spielterrasse im dritten Obergeschoss deutlich: Auf der Höhe der benachbarten Baumkronen können die Kinder in einer textilen Netzlandschaft herumklettern, die von der japanischen Künstlerin Toshiko Horiuchi MacAdam entwickelt wurde.

Ágnes Heller Haus der Universität Innsbruck, 2023. Architektur: mohr niklas architekten, Bauherrschaft: BIG Bundesimmobiliengesellschaft und Leopold-Franzens-Universität Innsbruck (Foto: David Schreyer)
Öffentlichen Freiraum bewahren, Ressourcen schützen

Im neuen Ágnes Heller Haus der Universität Innsbruck finden die vormals in der Tiroler Landeshauptstadt verstreuten Institute der geistes-, kultur- und bildungswissenschaftlichen Fakultäten an einem Ort zusammen. mohr niklas architekten begriffen die Bildungseinrichtung als integralen Bestandteil der Studentenstadt und hielten den Fußabdruck auf dem Areal am Inn so klein wie möglich. Sie planten eine dichte Kubatur und spielten so einen offenen städtischen Grünraum am Fluss frei, der als Campuswiese und Freiraum für alle dient. 

Für preiswürdig befand die Jury auch den Ansatz von NONA Architektinnen, die eine ehemalige Lagerhalle mit einer eingestellten Holzkonstruktion transformierten. Obwohl das bestehende Gebäude keine hohe architektonische Qualität besitzt, hatte sich die Firma Haberkorn als Bauherrin dazu entschieden, die verbaute graue Energie sinnvoll weiter zu nutzen. Das Unternehmen lobte einen Architekturwettbewerb aus, um eine ideale Raum-in-Raum-Lösung zu finden. Gewinnen konnten NONA Architektinnen, die mit der Umgestaltung einer Postgarage in Dornbirn bereits ein vergleichbares Projekt verwirklicht hatten. Die zerlegbare Holzkonstruktion, die an die Hochregallager von Haberkorn erinnert, könnte andernorts wieder aufgestellt werden, wenn sie dereinst in Wolfurt nicht mehr gebraucht wird. 

Neue Bürowelt Haberkorn, 2023. Architektur: NONA Architektinnen – Anja Innauer und Nora Heinzle, Bauherrschaft: Firma Haberkorn (Foto: David Schreyer)

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