Noch sind Hochhäuser in Holzbauweise Pionierprojekte. Doch das Material könnte bald einen Siegeszug antreten
Leonhard Fromm
1. April 2022
Mad arkitekter, WoHo, Berlin (Visualisierung © Mad arkitekter)
Die Angst vor Bränden ist neben der Sorge um die statische Belastbarkeit das größte Hemmnis beim Einsatz von Holz als Konstruktionsmaterial für Hochhäuser. Aber die Bedenken bei den Behörden schwinden – dank guter Erfahrungen.
Ein Holzwohnhaus von 98 Metern Höhe und mit 150 Wohnungen auf 29 Etagen ist in Berlin-Kreuzberg geplant. Aktuell ist für das Leuchtturmprojekt des Berliner Investors UTB das Bebauungsplanverfahren eingeleitet. Das WoHo, so der Projektname, ist aus einem Architekturwettbewerb hervorgegangen und soll nach seiner Fertigstellung im Jahr 2026 (gemäß jetzigem Stand) das höchste Holzhaus Deutschlands werden. Der Baubeginn ist für das kommende Jahr vorgesehen.
Vermutlich wird das Haus dann schon keinen Rekord mehr halten, denn aktuell entstehen weltweit ähnlich hohe Bauwerke aus Holz. Waldreiche Länder wie die Vereinigten Staaten, Kanada, Schweden oder Österreich liegen beim Bauen mit Holz vorn, und mit 85,4 Metern steht das aktuell höchste Haus in dieser Bauweise in Norwegen. Das WoHo wurde vom norwegischen Büro Mad Arkitekter entworfen, das viel Erfahrung mit dem Werkstoff Holz hat; allerdings bislang eher hinsichtlich der Innenausstattung und bei den Fassaden.
Bei den Konstruktionen tasten sich aktuell alle Bauunternehmen noch voran. So auch etwa die Firma Brüninghoff im münsterländischen Heiden, die zuletzt in Amsterdam das 21-geschossige Holz-Hybrid-Tragwerk für ein Holzhochhaus errichtet hat. Bei vielen modernen Holzkonstruktionen bestehen nur noch das Untergeschoss sowie der Erschliessungskern mit Aufzügen und Treppenhäusern aus Stahlbeton. Und auch hier kommt vermehrt R-Beton zum Einsatz, der teils aus recyceltem Bauschutt aufbereitet wird. Tragende Pfeiler, Stützen und Träger sowie Wand- und Deckenelemente sind dagegen aus Holz. Meist kommen dabei massives Brettschichtholz und Brettsperrholz zum Einsatz.
kaden+lager, Holzhochhaus »Skaio«, Heilbronn (Foto: Bernd Borchardt)
Innen wie außen zeigen diese Hochhäuser meist klar ihren Holzcharakter, der Wärme und Natürlichkeit ausstrahlt. An den Decken wird dagegen meist – aus Brandschutzgründen – Gips verwendet. Aber auch sichtbare Brettsperrholz-Decken (BSP-Decken) seien mittlerweile möglich, heißt es bei Brüninghoff dazu. Neben der Bekleidung mit Gipskarton-Feuerschutz-Platten (GKF-Platten) sei auch eine Holz-Beton-Verbund-Decke (HBV-Decke) eine Alternative, wenn Aspekte des Brandschutzes den Einsatz von reinem Holz verhinderten. Überhaupt sind Brandgefahr und Brandschutz neben der Sorge um die Statik die größten Hemmnisse für den Siegeszug des Holzes als zentrales Baumaterial, wenn in die Höhe gebaut wird. Genehmigt werden deshalb [in Deutschland] nur Entwürfe, für die nachgewiesen ist, dass die Holzkonstruktion dem Feuer 120 Minuten widersteht.
Die Konstrukteure erfüllen diese Vorgabe, indem sie entsprechend dicke Balken einplanen, die auch dann noch tragen, wenn ihre Oberfläche schon über längere Zeit dem Feuer ausgesetzt ist. Denn brennendes Holz bildet an seiner Oberfläche eine Kohleschicht, die den Abbrandprozess ins Innere der tragenden Querschnitte verlangsamt. Die Folge: Die Brandschutzkonzepte mit dieser sogenannten Heißbemessung werden genehmigt – und in der Folge immer mehr Hochhäuser aus Holz in ganz Europa und weltweit. Und mit jedem verwirklichten Projekt sinkt die Skepsis, Holz sei nicht hinreichend stabil und belastbar, um damit dermaßen in die Höhe zu bauen.
Beispiele aus jüngster Zeit sind in Deutschland das »Skaio« in Heilbronn und das »Buggi 52« mit acht Etagen in Freiburg. Die Firma Orange Blu building solutions aus Stuttgart baut aktuell für die Würth-Gruppe in Künzelsau-Gaisbach einen 44 Meter hohen Holz-Hybrid-Büroturm für 375 Mitarbeitende. Das muss eigentlich nicht weiter verwundern, gibt es doch eine lange Historie mit sehr hohen Holzkonstruktionen, etwa beim Bau von Kirchen oder Pagoden im asiatischen Kulturraum. Besonders Brettsperr- und Brettschichtholz aus miteinander verleimten Massivholzlagen haben sich bewährt: Sie entwickeln gute Baueigenschaften, und das Holz arbeitet kaum mehr. Ohnehin sorgt überall der Kern der Holz-Gebäude aus Stahlbeton bis unter das Dach für die erforderliche Steifigkeit. Angesichts des insbesondere in den Metropolen längst knapp gewordenen Baugrunds denken manche Bauherrschaften bereits an Holzhäuser, die bis zu 200 oder gar 350 Meter hoch sein könnten.
Orange Blu building solutions, Neubau für die Würth-Gruppe, Künzelsau-Gaisbach (Visualisierung © Orange Blu building solutions)
Mit ein Grund für diesen Optimismus liegt in der ökologischen Betrachtung dieser Bauweise: Knapp 40 Prozent der klimaschädlichen CO2-Emissionen gehen heute weltweit auf das Bauen zurück, weil primär mineralische Substanzen wie Sand und Kies sowie Eisenerz verwendet werden, die aufwendig gewonnen, transportiert und verarbeitet werden müssen. So emittiert allein die Zementindustrie mit ihrem hohen Energieeinsatz dreimal mehr CO2 als der gesamte weltweite Flugverkehr. Dagegen gibt es die organischen Rohstoffe, allen voran Holz, nahezu zum Nulltarif. Im Gegenteil: Sie binden noch CO2.
Federführend für diese Denkweise und Argumentation war und ist der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, der die Initiative Bauhaus der Erde mitgegründet hat. Aber auch andere wie der Chemiker Michael Braungart, der prägend für die Vision war, Gebäude als Materiallager zu begreifen, und deshalb für sämtliche Baustoffe geschlossene Kreisläufe organisiert. Das Prinzip nennt sich Cradle-to-Cradle (C2C) und setzt auf Sortenreinheit und definierte Rezepturen, um die Wiederverwertbarkeit zu erleichtern.
Beim Projekt »HoHo« in Wien liegt zum Beispiel laut einer Presseanfrage der Holzanteil bei 75 Prozent. Das vermeide gegenüber Stahlbeton 2800 Tonnen klimaschädlicher Treibhausgase. Und bei sämtlichen Hybrid-Gebäuden dieser Höhe aus Holz und Beton dürfte der Proporz ähnlich liegen. Laut Udo Mantau, Professor für Ökonomie der Forst- und Holzwirtschaft im Ruhestand an der Universität Hamburg, hat Holz als Baumaterial heute im Bürobereich einen Anteil von nur zehn Prozent, während jener im privaten Wohnungsbau immerhin auf 17 Prozent komme. Über alle Gebäude hinweg hat Holz demnach einen Anteil von bislang gerade einmal zwei Prozent, Beton hingegen liegt bei 40. Das zeige das Potenzial für Holz- und Holz-Hybrid-Lösungen.
Einen weiteren Vorteil sieht Frank Steffens, Geschäftsführer von Brüninghoff: »Der mehrgeschossige Hochbau ist wegen einer hohen Wiederholungsrate über viele Geschosse prädestiniert für das Bauen mit Holz- oder Holz-Hybrid-Fertigteilen.« Diese könnten seriell und unter definierten Bedingungen in Hallen vorgefertigt werden. Das verkürze bei gleichzeitig hoher Präzision und Qualität die Bauzeit vor Ort und mache zudem einen Großteil des Bauprozesses witterungsunabhängig. Durch die hohe Standardisierung und Automatisierung sowie verkürzte Bauzeiten durch eben jene Vorfertigung sei das Bauen mit Holz auch wirtschaftlich attraktiv. Und schließlich: Das Holz sorgt für ein gutes Raumklima und bietet thermisch wie visuell einen hohen Komfort.