Das Neue beginnt mit dem Alten
SHARE architects
14. July 2023
Foto: Kurt Kuball
Silvia Forlati berichtet, wie SHARE architects über Jahre hinweg die Belebung des Ortskerns der Marktgemeinde Griffen begleitet haben. Die in einem partizipativen Prozess entwickelte Umgestaltung nutzt konsequent das Vorhandene.
Frau Forlati, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Wir von SHARE architects begleiteten die Gemeinde Griffen über mehrere Jahre bei der Konzeption und Umsetzung einer gesamtheitlichen Stärkungsstrategie für ihren Ortskern. Durch größere und kleinere »Eingriffe« wurde Griffens Erscheinungsbild sehr zum Positiven verändert und der Ort noch lebens- und liebenswerter gemacht.
Seit 2016 beschäftigte sich die Marktgemeinde mit der Stärkung ihres Ortskerns und suchte nach geeigneten Maßnahmen gegen den Leerstand. In Arbeitsgruppen mit interessierten Bürger*innen wurde ein Maßnahmenkatalog gegen die zunehmende Abwanderung und den damit einhergehenden Leerstand sowie zur Steigerung der Attraktivität des Ortskerns erstellt.
Nach der Umgestaltung des Kirchplatzes und der Eröffnung des Burgsstadls in den Jahren 2019 und 2020 wurde 2021/22 die Requalifizierung der Gehsteige, Parkplätze und des Kreisverkehrs entlang der Bundesstraße angegangen.
Durch einen Wechsel des Belags wurde die Bundesstraße Teil des Kirchplatzes. Die visuelle Verengung der Fahrbahn und die Wegnahme der Mittellinie führen dazu, dass die Autos langsamer vorüberfahren. Aus dem Platz ist ein qualitätsvoller Aufenthaltsraum geworden. (Foto: Kurt Kuball)
Der Belag des Kirchplatzes wurde weitgehend erhalten. Wie die bestehenden Pflanztröge und die Betonstiegen zur Kirche wurde er gereinigt und saniert. Neu wurde die angrenzende Bundesstraße durch einen entsprechenden Belag in den Platz integriert. Die Parkplätze wurden teilweise entfernt, damit aus dem Platz ein flexibel nutzbarer Aufenthaltsraum werden konnte. Ein Fontänen-Feld schafft einen neuen Fokus: Zum einen markiert es den Eingang des Burgstadls, der mit einem Infopoint und einer Ausstellung zur zentrale Anlaufstelle geworden ist, und zum anderen den Ausgangspunkt des Stiftswegs.
Um die Fahrgeschwindigkeit der Autos auf der Bundesstraße nachhaltig zu reduzieren, wurde die Fahrbahn durch einen seitlichen Farbstreifen visuell verengt. Gleichzeitig entfällt die Mittellinie. Da die Straße ungewöhnlich und enger scheint, nehmen die Autofahrer*innen mehr Rücksicht und reduzieren die Geschwindigkeit.
Am Übergang zum Gehsteig gibt es keinen Niveausprung mehr. Stattdessen stehen dort nun Poller. Diese sorgen dafür, dass abgestellte Autos mit ihren Stoßstangen nicht auf den Gehsteig ragen. Weil sie somit weiter in der Straße abgestellt werden müssen, entsteht eine zusätzliche Verengung der Fahrbahn, die wiederum zur Verringerung der Geschwindigkeit des Verkehrs beiträgt. Außerdem wurden Abstellplätze für Fahrräder integriert und neue Bäume gepflanzt. Auch wurde die Straßenbeleuchtung erweitert.
Davon abgesehen haben wir, wo immer dies möglich war, barrierefreie Zugänge für die Geschäfte und Lokale geschaffen. All dies sind kleine Verbesserungen, die aber in Summe den Ortskern deutlich attraktiver machen.
Auch Fahrradabstellplätze wurden bei der Umgestaltung integriert. Einen Niveausprung am Übergang zum Gehsteig gibt es nicht mehr, stattdessen sorgen Poller für eine Absicherung. Weil Autos weiter in der Fahrbahn geparkt werden müssen, wird der Verkehr zusätzlich verlangsamt. (Foto: Kurt Kuball)
Blick auf den Eingang zum Burgsstadl. Er ist die zentrale Anlaufstelle für Bürger*innen und Besucher*innen. (Foto: Kurt Kuball)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Uns war wichtig, zu beobachten, zuhören und mit verschiedensten Akteur*innen zusammenzuarbeiten. Wir haben Ideen gesammelt und gefiltert. Wir suchten nach den Möglichkeiten, die sich aus dem Bestand ergeben, und spürten dem vorhandenen Potenzial nach. Auch war uns wichtig, vorhandene Ressourcen zu nutzen. Wir wollten Bestehendes verwenden, um Neues zu schaffen.
Es ging uns im Prozess darum, Handlungsoptionen zu definieren, den Austausch zwischen allen Beteiligten zu fördern und gemeinsam zu lernen. Wir wollten Ziele und Prioritäten kooperativ abstimmen. Es war wichtig, Kompetenzen von Nutzer*innen und Expert*innen zu bündeln und auf unterschiedlichen Handlungsebenen agieren. Wir hatten Lücken zu füllen und trotzdem ein einheitliches Ziel zu verfolgen, die Stärkung des Ortskerns von Griffen nämlich – sei es funktional, räumlich oder im Bewusstsein von Bürger*innen und Besucher*innen.
Der Prozess, den wir seit 2016 planerisch und konzeptionell moderieren und leiten durften, war vielfältig, offen und auf Partizipation gegründet. Und diesen Charakter sollte auch die künftige Nutzung des Ortskerns haben.
Zu den erreichten Erfolgen zählt die drastische Verringerung des Leerstands in Kombination mit der Neuansiedlung von Betrieben und Dienstleister*innen. Zudem ist es gelungen, die Lebensqualität für die Bewohner*innen zu heben, was mit der erfolgreichen Senkung der Geschwindigkeit und der Lärmbelastung durch den Durchgangsverkehr ebenso zu tun hat wie mit den vielen Privatinvestitionen der Haus- und Liegenschaftseigentümer*innen, die zusätzliche Wohnungen durch Verdichtung und Reaktivierung von Leerstand schaffen. Und auch die wieder ganz leicht steigende Zahl der Einwohner*innen spricht für die Richtigkeit der gemeinsam ergriffenen Maßnahmen.
Aus der Luft sind die Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung gut zu erkennen. Sie tragen wesentlich zur gestiegenen Lebensqualität der Menschen vor Ort bei. (Foto: Kurt Kuball)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?
Wir haben uns als »Übersetzer« gesehen: Unsere Aufgabe bestand darin, die Inputs und Anregungen der Bürger*innen und der Gemeinde aufzunehmen und gleichzeitig das Potenzial des Ortes zu identifizieren. Anschließend mussten wir all diese Komponenten in eine ganzheitliche Strategie einfließen lassen.
Die Umgestaltung des Ortskerns war ein Prozess, in dessen Verlauf immer wieder neue Ideen und Möglichkeiten einflossen. Zum Beispiel kam die Idee, den Infopoint und Ausstellungsraum zum Platz zu bringen, erst zu Beginn der Umsetzungsphase auf. Um sie Realität werden zu lassen, musste ein Eigentümer überzeugt werden, einen Teil seiner Liegenschaft an die Gemeinde zu verkaufen. Und auch der Verschönerungsverein musste bereit sein, seinen Sitz und Ausstellungsraum in ein neues Gebäude umzusiedeln. Schließlich konnte der besagte Eigentümer durch den Teilverkauf des Burgstadls das nötige Kapital für die Sanierung des restlichen Gebäudeteils gewinnen. Dort sind nun eine kleine Wohnung und ein Lokal entstanden.
Foto: Kurt Kuball
Wie gliedert sich das Projekt in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?
Ein wichtiger Teil unserer Tätigkeiten besteht aus städtebaulichen und »dorfbaulichen« Projekten – oft in Kombination mit partizipativen Prozessen, die wir gestalten und leiten. Insofern steht das Projekt beispielhaft für unsere Arbeit.
Ein ganzheitliches Verständnis von Nachhaltigkeit prägt das Projekt. So wurde der Leerstand aktiviert, und wir haben die bestehenden Strukturen nachverdichtet, statt neu zu bauen. Der Dorfplatz wurde mit bereits vorhandenen Materialien saniert. Auf neue Baumaßnahmen haben wir auch hier bewusst verzichtet. Zudem haben wir bei der Bepflanzung mit neuen Bäumen darauf geachtet, auf Arten zurückzugreifen, die dem Klimawandel widerstehen können. So ist ein robuster öffentlicher Raum entstanden. Sozial betrachtet war es außerdem essenziell, die Bevölkerung über einen partizipativen Prozess in die Planungen einzubinden.
Der Burgstadl wurde neu als zentrale Anlaufstelle für Einheimische und Besucher*innen gestaltet. (Foto: Kurt Kuball)
Foto: Kurt Kuball
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?
Wir sehen in der Zusammenarbeit der vielen unterschiedlichen Akteur*innen und Expert*innen sowie der Beteiligung der Bürger*innen und der Umsetzungskraft der Gemeinde die wesentlichen »Materialien« dieses Projekts. Die Gemeinde selbst war ein besonders engagierter Auftraggeber. Das Landschaftsplanungsbüro Lenaplant ist etwas später ins Projekt eingestiegen und brachte viel Wissen über die resiliente Gestaltung von Außenräumen ein. Mit dem Architekturspielraum Kärnten war es möglich, auch Schüler*innen in die Umgestaltung des Kirchplatzes miteinzubeziehen und verschiedene Szenarien des Schulalltags im Ortskern zu testen. Darüber hinaus war die Zusammenarbeit mit den Vertreter*innen des lokalen Verschönerungsvereins, die auf ehrenamtlicher Basis arbeiten, sowie mit dem Architekten Josef Klingbacher eine wichtige Basis für die Neudefinition des Burgstadls als Infopoint für Besucher*innen und zur Belebung des Kirchplatzes. Für das grafische Konzept war Georg Lippitsch von Zinc Studio in Zusammenarbeit mit uns verantwortlich.
Last, but not least hat die Firma mmcité sehr engagiert dazu beigetragen, dass die passenden Lösungen für Stadtmobiliar und Poller entwickelt wurden. Und zuletzt ist die einheimische Firma Possehl zu nennen, die die speziellen Asphaltbeschichtungen für die Erweiterung des Kirchplatzes, den Bereich um die Fontänen sowie die Gestaltung der Bundesstraße mit viel Erfahrung realisiert hat.
Lageplan (© SHARE architects)
Visualisierung der Umgestaltung des Straßenraums (© SHARE architects)
Visualisierung der Ausstellung im Burgstadl (© SHARE architects)
Umsetzungsstand des Jahres 2022 (© SHARE architects)
Belebung des Ortskerns von Griffen in einem längerfristig ausgelegten Beteiligungs-, Planungs- und Bauprozess, 2015–2022
Standort
9112 Griffen
Nutzung
Freiraum- und Straßengestaltung, Ausstellungs- und Veranstaltungsraum, Infopoint und Leitsystem
Auftragsart
Direktvergabe
Bauherrschaft
Marktgemeinde Griffen
mit Unterstützung des Landes Kärnten, des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, der Länder und der Europäischen Union sowie dem Verschönerungsverein Griffen
Architektur und Planung
- Konzept zur Belebung des Ortskerns, Kirchplatz-Gestaltung, Leitsystem und Schauraum Tropfsteinhöhle, Umgestaltung Bundesstraße und Parkplätze:
SHARE architects, Wien
Silvia Forlati, Thekla Zechner, Jochen Brandhuber, Marco Chisté, Giulia Attinelli und Malgorzata Lodzinska
in Kooperation mit Lena Uedl-Kerschbaumer / lenaplant (Landschaftsplanung), Georg Lippitsch / Zinc Studio (Grafisches Konzept), Katharina Pektor (Inhaltliche Begleitung Stiftsweg), Claudia Dojen / Landesmuseum Klagenfurt (Inhaltliche Begleitung Ausstellung Tropfsteinhöhle), Verschönerungsverein Griffen, Tischlerei Stugeba (Gestaltung Schauraum Tropfsteinhöhle), Architekt Hans Waldhör (Kosten und Ausschreibung) sowie Marktgemeinde Griffen und zahlreichen interessierten Bürger*innen
- Revitalisierung Burgstadl:
Architekt Josef Klingbacher
Bauleitung
Ing. Valentin Breitnegger
Fertigstellung
2022
Gesamtkosten
BA01 bis BA04 inklusive Burgstadl: EUR 2.2 Mio.
Maßgeblich beteiligte Unternehmen
Kirchplatz und Bundesstraße: Swietelsky AG - NL Kärnten / Osttirol, Völkermarkt
Möblierung: mmcité at GmbH, Wien
Gestaltung Schauraum Tropfsteinhöhle: Tischlerei Stugeba, Bad St. Leonhard
Sanierung Burgstadl: Oven Bau GmbH, Völkermarkt
Fotos
Kurt Kuball