Man trifft sich wieder in Basel
Susanna Koeberle
23. September 2021
Die Galerie Etage Projects aus Kopenhagen zeigte unter anderem einen Keramikofen von FOS. (Foto: Flavio Karrer)
An der fünfzehnten Edition der internationalen Ausstellung Design Miami/Basel gibt es Bekanntes, Nachhaltiges und ein kleines Raumwunder zu erleben.
Gewisse Räume sind Unorte per se. Oder Nicht-Orte, wie sie der französische Anthropologe Marc Augé in seinem gleichnamigen Essay nennt. Dazu gehören Messehallen. Vom Tageslicht abgeschnitten, schaffen sie eine Parallelwelt – eine Art Hades, der dem Gott des Konsums huldigt. Für Architekt*innen ist das Finden einer wirklich befriedigenden Lösung für diese Raumtypologie – wenn man überhaupt von einer solchen sprechen kann – eine Herausforderung. Das wird einem jedes Jahr wieder in Basel bewusst, wenn die Kunstwelt mit einem Reigen an Messen Besucher*innen aus der ganzen Welt in die Rheinstadt lockt. Nach einem Jahr Pause scheinen die Menschen vor allem nach Begegnungen zu dürsten, die Stimmung ist ausgelassen, aber weniger frenetisch als sonst. Oder meine ich das nur, weil mein zweiter Stop die Ausstellung Design Miami/Basel ist? Denn dort ist ein kleines Wunder geschehen, das durchaus zur Entschleunigung meines Rhythmus beigetragen hat. Und zwar messbar! Seit dem Umzug der Designmesse ins neue Messeensemble der Lokalmatadoren Herzog & De Meuron im Jahr 2013 wurde der 500 Quadratmeter große, dunkle Eingangsraum der Design Miami/Basel stets mit verschiedenen Installationen bespielt.
Die Idee, dort die »Design at Large«-Projekte auszustellen, ist nicht verkehrt, allerdings funktionierte der Raum deswegen bisher nicht besser: Er blieb Durchgangsraum auf dem Weg zur »eigentlichen« Messe im zweiten Stockwerk der Halle 1. Und nun das: Plötzlich will man nur noch in diesem Raum sein und könnte dort stundenlang den zauberhaften »Wesen« zuschauen, den »Shylights« von DRIFT. Das niederländische Designerduo (oder vielmehr Künstlerduo) bestehend aus Lonneke Gordijn und Ralph Nauta hat für sein Projekt »Shy Synchrony« mit dem Unternehmen Superblue zusammengespannt, das Künstler*innen bei der Verwirklichung ihrer ehrgeizigsten Visionen unterstützt. Zu Musik von Philip Glass (genial!) bewegen sich Dutzende kleiner Stoffskulpturen und führen ein Ballet vor, das Menschengemachtes und Natur vereint. Die »Blüten« sollen an die Bewegung von echten Blumen erinnern, die wie wir Menschen ebenfalls Schlafrhythmen besitzen.
»Shy Synchrony« von Drift in Zusammenarbeit mit Superblue ist eine multisensorische Erfahrung. (Foto: Ossip)
Ein wichtiges Element, das zum Funktionieren dieser Installation beiträgt, ist der elliptische Pavillon aus benutzbaren Holzstrukturen von Sou Fujimoto, die der japanische Architekt eigens für die Arbeit von DRIFT entworfen hat. »Forest of Space« rahmt die leere Mitte und kreiert ein irdisches Gegenüber zur Kopfüberlandschaft der Blumen. Die Besucher*innen sind eingeladen, sich auf den Bänken niederzulassen und das Schauspiel zu beobachten. Intensiviert wird diese Erfahrung durch die Aktivierung in Form von täglichen Meditationen. Besonders spannend ist die Kollaboration mit Therme Mind, einem Joint Venture zwischen der Therme Group, einem führenden Unternehmen im Bereich Wohlbefinden, und MindMaze, einem Pionier der Neurowissenschaften. Für die Europapremiere von »Shy Synchrony« in Basel wird die MYND-Technologie eingesetzt; diese korreliert die Bewegung der »Shylights« von DRIFT mit der neuronalen Aktivität und der Herzfrequenz der Besucher*innen. Bei diesem Experiment mitzumachen (durch das Aufsetzen eines speziellen Messgerätes), war absolut faszinierend. Die Vorstellung, dass unser Körper und Geist einen unmittelbaren Einfluss auf die Umgebung haben, ist nicht neu, aber das so direkt zu erfahren, ist dank moderner Technologie nun möglich. Gelenkt durch die Stimme der Yogalehrerin und Designexpertin Franziska Kessler vergass ich plötzlich, dass ich eigentlich ein Programm hatte und in der Gegend herumwuseln wollte.
Die Installation »Anthropocene Adhocism Living Room« von Lionel Jadot in der Everyday Gallery (Foto: Flavio Karrer)
Die Messe im oberen Stock besuchte ich dann trotzdem, aber vielleicht war ich dabei tatsächlich gelassener. Gelassenheit ist eine der meist unterschätzten Tugenden und jede Art, diese zu fördern, ist eines Friedensnobelpreises würdig. Obschon: Es gibt eigentlich wenig Grund gelassen zu bleiben angesichts der aktuellen Weltlage. Dass Themen wie der Klimawandel und die Frage nach Verantwortung – übrigens lautete das Motto der Messe »Human Nature« – auch Designer*innen nicht kaltlassen, zeigte der Stand der belgischen Everyday Gallery, die eine eingerichtete Stube mit Stücken von Lionel Jadot zeigte. »Anthropocene Adhocism Living Room« nennt der Designer, Architekt und Filmemacher seine Installation, die vielmehr ein Manifest ist als bloß eine Präsentation. Lionel Jadot sammelt seit 30 Jahren allerlei Gegenstände und Möbel, katalogisiert sie und kombiniert sie später neu. Der von Jadot geschaffene Begriff »Anthropocene Adhocism« nimmt einerseits auf diese spielerische Neuassemblage Bezug und lässt andererseits etwas Ernsthafteres erahnen.
Denn dahinter steckt eine ganze Philosophie, die beispielhaft ist – gerade auch was Nachhaltigkeit betrifft. Wieso Neues herstellen, wenn alles da ist, lautet der Leitsatz des Gestalters. Wir müssen ja eigentlich nur die Augen öffnen. Wie Jadot in den Zaventem Ateliers unweit von Brüssel (eine Art »Factory« für Kreative, die er mitbegründet hat) diese Materie zu neuem Leben erweckt, ist eine Freude. Der Boden eines ehemaligen Clubs wird beispielsweise zur Sitzfläche des Sofas »Billie Jean«, während die Rücken- und Armlehnen aus Kupferplatten einer Fassade aus den 1960er-Jahren bestehen. Zu jedem einzelnen Teilstücke weiß Jadot eine Geschichte zu erzählen: So geht Upcycling und fabulierendes Design in einem! Alles andere, das wir an dieser Messe zu sehen bekamen, verblasste angesichts dieser kreativen Energie und radikalen Attitüde. Aber eben, wir ließen uns auch verführen durch die Schönheit der Dingwelt. Und dass diese Welt nicht arm daran ist, ist eine banale, aber auch beruhigende Erkenntnis, die uns an der Design Miami/Basel in Erinnerung gerufen wird.
Das Sofa »Billie Jean« besteht aus Teilen des Bodens eines einstigen Clubs und Kupfer-Elementen von einer Fassade. (Foto: Flavio Karrer)
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