Schweizer Architekturwettbewerb: Mit Altem Neues entwerfen

Ulf Meyer
16. March 2023
So soll es im neuen Recyclingzentrum aus gebrauchten Bauteilen dereinst aussehen. Die Autos werden zum Entladen rückwärts einparken. (Visualisierung: © maaars architektur visualisierungen)

Vermeintlich ist eine Wertstoff-Sammelstelle kein Bautypus, der den Architekturdiskurs anregt. Doch in Mitteleuropa gewinnt die Wiederverwertung von Bauteilen aus Abrisshäusern erfreulicherweise an Bedeutung, und inzwischen sind gerade in der Schweiz international viel beachtete Projekte entstanden, allen voran die bekannte Aufstockung einer Lagerhalle auf dem Sulzer-Areal in Winterthur von baubüro in situ, die mit dem renommierten Holcim Award in Gold ausgezeichnet wurde. Nun wurde ein besonderer Architekturwettbewerb veranstaltet, bei dem die Wiederverwendung von Bauteilen gefordert war: Die Stadt Zürich möchte beim Neubau eines Recyclingzentrums der ERZ (Entsorgung + Recycling Zürich) im Stadtquartier Altstetten Elemente aus einem Bauteilkatalog verwendet sehen. – Ein innovativer Ansatz, der für die Bauaufgabe auch konzeptionell besonders passend scheint. 

Rankpflanzen sollen das Innere der offenen Halle vor Wind und Wetter schützen. (Visualisierung: © Graber Pulver Architekten)
Visualisierung: © Graber Pulver Architekten
Entwerfen mit gebrauchten Elementen aus einem Bauteilkatalog

Gewinnen konnte den Wettbewerb, der mit 50'000 Schweizer Franken dotiert war, das Zürcher Büro Graber Pulver Architekten. Den Neubau auf dem Juch-Areal hat dessen Team gemeinsam mit den Büros Weber+Brönnimann aus Bern und Manoa Landschaftsarchitekten aus Meilen entworfen. Graber Pulver Architekten haben sich gegen neun weitere Teams durchgesetzt, darunter prominente Architekten wie Caruso St John, AFF, Tuñón & Ruckstuhl oder Assemble Studio. Den Vorsitz der Jury hatte Jeremy Hoskyn inne. Den zweiten beziehungsweise den dritten Preis bekamen Studio Hammer und die ARGE Burkhardt + Lucas Michael Architektur zugesprochen. 

Doch zurück zum Entwurf von Graber Pulver, der nun ausgeführt werden soll. Fast alle Bauteile, die die Architekten verwenden möchten, stammen aus der näheren Umgebung des Bauplatzes: Eine vorhandene Halle wird mit wenigen Anpassungen wiederaufgebaut, und der Hallenboden wird aus gebrauchten Stahlbetonplatten bestehen. Die Dachhaut indes soll aus alten Trapezblechen gebaut werden.

Im Vorfeld des Wettbewerbs wurden Bauteile aus dem Gebäudebestand der Stadt Zürich, die aufgrund von Abrissen für die Umsetzung frei werden, in einer digitalen Bauteildatenbank erfasst. Dieser Katalog konnte von den Teilnehmenden heruntergeladen werden, die die Elemente sodann in ihren Entwürfen neu kombinierten. Den Architekten war es freigestellt, auch andere Bauteile zu verwenden. Um einen kompletten Materialkreislauf zu gewährleisten, sollten die Bauten des neuen Recyclingzentrums zudem so konzipiert werden, dass sie eines Tages erneut rückgebaut werden könnten. 

Fußgängerinnen und Fußgänger können auf einer Passerelle die nahe Autobahn überqueren. Von dort aus werden sie Einblick in das Innere der Anlage haben. (Modellfoto: © Graber Pulver Architekten)
Mehrwert für das Quartier

Die Anlage wird, wie eben angedeutet, vor allem aus einer flachen Halle bestehen. Ihre Stahlkonstruktion fügt sich architektonisch gut in das umgebende Gewerbequartier ein. Die Halle wird durch ein Satteldach aus Profilblechen überspannt. An ihrem westlichen Ende wechselt die Dachform in eine flache Pultdachkonstruktion, sodass von der Passerelle über die Autobahn aus Einblicke möglich sind. Auf der Ausweitung soll ein Personalhaus entstehen, das sich mit einem gegenläufigen Pultdach von der Halle absetzt. Der Baumbestand auf dem Areal wird zu einem Quartierpark ergänzt, der einen Ausgangspunkt für die erwähnte Fußgängerverbindung über die Autobahn bildet. Der erhöhte Weg ermöglicht eine Ruderalfläche und Blicke auf Fauna und Flora von oben. 

Der Zugang für Radfahrerinnen und Radfahrer sowie Fußgänger befindet sich an der nordöstlichen Ecke. Für die Anlieferung per Auto und Lieferwagen bieten zwei Spuren genügend Platz. Autofahrer fahren unter dem Hallendach vor und parken rückwärts ein. In einer mit zwei Oberlichtbändern aufgehellten Mittelzone können sie ihren Abfall in Mulden und Behältern entsorgen.

Die südliche Hallenhälfte ist im Entwurf von Graber Pulver für den Betriebsverkehr und die Bewirtschaftung der Mulden reserviert. Das Betriebsgebäude schließt das Zentrum nach Westen hin ab. Entlang der Bernerstraße entsteht ein Ankunftsort mit einer Retentionsfläche für das Dachwasser. Bäume können durch den Fußweg aus Gitterrosten wachsen, ohne dass ihre Wurzeln beeinträchtigt werden. Eine berankte Fassade wird den Innenraum vor Wind und Wetter schützen. Diagonale Windverbände sollen dabei als Rankgerüst dienen. 

Modellfoto: © Graber Pulver Architekten
Kurze Transportwege verbessern die ökologische Nachhaltigkeit

Das Baumaterial stammt, wie schon erwähnt, aus der unmittelbaren Umgebung. Es muss über eine Entfernung von maximal 20 Kilometern herangeschafft werden. So bleibt die Schadstoffbelastung beim Transport klein. Für den Transport werden alte Stahlträger in der Mitte getrennt und anschließend neu zusammengefügt. Gestalterisch gesehen werde die Herkunft der Hallenteile »verschliffen«, sagen die Architekten.

Ihre Lust am Ausprobieren sei bei den Wandaufbauten spürbar, befand die Jury. Denn die Holzrahmenkonstruktion soll mit alten Büchern, Zeitschriften und Kleidern gedämmt werden. Die Fassaden werden durch Platten aus rezykliertem Glas und Aluminium sowie durch alte Küchenabdeckungen, Türen und Tischplatten geschützt. Das Kleinteil- und Palettenlager besteht aus einstigen Baugerüsten. Die Jury überzeugte der Beitrag aber auch durch seine »unaufgeregte Einordnung und optimale Betriebsabläufe«. Mit unprätentiösem architektonischen Ausdruck gelinge es, Nutzung und Konstruktion zusammenzubringen. 

Die Erstellungskosten werden auf 18 Millionen Schweizer Franken geschätzt. Ende 2026 sollen die Bauarbeiten abgeschlossen sein.

Grundriss Erdgeschoss (© Graber Pulver Architekten)
Schnitt A (© Graber Pulver Architekten)
Schnitt B (© Graber Pulver Architekten)

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