Eigeninitiative, Mut zum Risiko, Ausdauer – der überzeugende Umbau eines Berliner Baudenkmals

Falk Jaeger
28. mayo 2022
Diese Aufnahme zeigt den Aufgang im Hotel Wilmina, das sich in einem einstigen Gefängnis befindet. Das gelungene Umbauprojekt wurde erst durch den großen Einsatz der Architekten möglich. (Foto: Patricia Parinejad © Wilmina)


Die Berliner haben es eigentlich gar nicht auf dem Schirm, das neobarocke Gebäude in einer gewöhnlichen Häuserreihe der Charlottenburger Kantstraße. 1896 als Strafgericht erbaut, sieht es aus wie ein historistisches Bürgerhaus und war zuletzt ganz unscheinbar als Grundbucharchiv genutzt worden. Noch weniger bekannt, weil vom Straßenraum nicht einsehbar, ist das zugehörige Gefängnis, ein mehrflügeliger Komplex aus Backstein im Hinterhof, der seit 1985 ein Dornröschen-Dasein fristete. Während der Zeit des Nationalsozialismus diente der Bau als Frauengefängnis, in dem Gegnerinnen des Regimes festgehalten wurden.

 

Gartenhof (Foto: Patricia Parinejad © Wilmina)
Fassade des heutigen Hotelhofs (Foto: Patricia Parinejad © Wilmina)

Nachdem sich die Umgestaltung zu einem Self-Storage-Standort als nicht machbar erwiesen hatte, übernahmen die beauftragten Architekten vom einheimischen Büro Grüntuch Ernst das Anwesen selbst. Sie hatten die Idee, das Gerichtsgebäude für Events, Pop-up-Galerien und Showrooms zu nutzen und im Gefängnis ein Hotel unterzubringen. Ein enormes finanzielles Wagnis zweifellos, angesichts der Probleme, die sich durch den Bauzustand der historischen Gemäuer, die vielfältigen Bauauflagen, die Anforderungen an den Brandschutz sowie durch den Denkmalschutz und nicht zuletzt durch die Finanzierung auftürmten. Hinzu kam, dass für ein Hotel dieser Größenordnung mit nur 44 Zimmern kein Betreiber zu finden war, der nicht den »Kerker-Gruseleffekt« herausstellen wollte. Ein solches »Themenhotel« stand nicht zur Debatte. Das Wilmina, so der Hotelname, sollte seriös sein, doch seine Historie nicht verleugnen. Deshalb blieb es ebenso in Eigenverwaltung wie das nun als Amtsalon firmierende Kultur- und Eventzentrum im Vorderhaus.

 

Hotelzimmer mit Gartenblick (Foto: Patricia Parinejad © Wilmina)
Foto: Patricia Parinejad © Wilmina

Für die Zimmer wurden jeweils zwei Zellen durch Herausnahme der Trennwand zusammengefasst. Ein Kunstgriff vermeidet Klaustrophobie und Düsternis: Die Gitter der weit oben eingebauten Fenster blieben zwar erhalten, die Fensteröffnungen wurden jedoch nach unten vergrößert. Das sorgt für mehr Lichteinfall und unvergitterten Ausblick auf Augenhöhe. Andere Zimmer fügen sich derweil in ungewöhnlich geschnittene Nebenräume ein und entfalten so jeweils einen eigenen Reiz. Die Ausstattung in durchweg freundlichen, beigen Farbtönen erscheint zurückhaltend, aber durchaus mit Designqualitäten.

Auch den Fluren ist durch weiße Schlämmung der Ziegelwände und Oberlichteinfall die Düsternis ausgetrieben. Die martialischen Zellentüren blieben freilich erhalten. Eine Zelle im Originalzustand mit Schautafeln gibt Auskunft über die Geschichte des Hauses, gewissermaßen als Gedenkstätte. Sie erinnert auch an die Zeit des Nationalsozialismus.

 

Die alten Zellentüren blieben erhalten. (Foto: Patricia Parinejad © Wilmina)
Atrium (Foto: Patricia Parinejad © Wilmina)

Mit vier großzügigen Penthouse-Suiten im Dachgeschoss, einem Dachgarten mit Pool, einem Spa und einem Fitnessraum ist durchaus auch Luxus geboten. Dem Niveau des Hauses angepasst ist das Restaurant Lovis im Erdgeschoss, für das der notwendige Raum durch Überdachung eines Innenhofs gewonnen wurde. Durch das Panoramafenster fällt der Blick aus den historisch aufgeladenen Gasträumen in einen üppig wuchernden, verwunschenen Garten, der abends effektvoll beleuchtet ist.

Das einstige Gefängnis, um dessen Neunutzung sich mehrere Investoren wegen seiner verwinkelten, labyrinthischen Strukturen und den strengen Denkmalschutzauflagen vergeblich bemüht hatten, konnte wohl nur durch das persönliche Engagement, die Risikobereitschaft und den langen Atem der Architekten (die Verwirklichung des Projekts nahm zehn Jahre in Anspruch) revitalisiert werden – mit hinreißendem Ergebnis. Entstanden ist ein wunderbarer, kontemplativer Ort, das sprichwörtliche Refugium in der umtriebigen Kantstraße, eine Unterkunft mit kulturellem Niveau und ein Treffpunkt für das stilvolle Dinner – vielleicht im Anschluss an einen Anlass im Amtsalon.
 

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