Unerzählte Geschichten von indonesischen Architekten mit deutscher Ausbildung
Elias Baumgarten
4. 5月 2023
Foto: Elias Baumgarten
In den 1960er-Jahren diplomierten etliche indonesische Architekten in Deutschland und schickten sich an, Karriere zu machen – viele in ihrer Heimat, doch einige auch in Europa. Ein spannendes Buch belichtet ihre Bauten und Lebenswege.
Dieses Buch ist eine Entdeckungsreise: Moritz Henning und Eduard Kögel erzählen in »Dipl.-Ing. Arsitek« zum ersten Mal die Geschichten indonesischer Architekten, die in den Jahren 1960 und 1961 in Berlin und Hannover ihr Diplom erhielten. Bis anhin waren die Gestalter und ihre Bauten selbst Expert*innen weitgehend unbekannt. Das macht die Lektüre des Buches, das mit über 400 kaum oder sogar noch nie gesehenen Plänen, Skizzen und Fotos aufwartet, ungemein spannend und inspirierend.
Zum Einstieg umreissen mehrere Essays den historischen Kontext. Sie thematisieren zum Beispiel die Lage in der Bundesrepublik der Jahre des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders. Man lernt, dass die meisten indonesischen Architekten Deutschland zunächst gar nicht bewusst ansteuerten. Lieber wollten sie in den Niederlanden studieren, die bis 1949 als Kolonialmacht Indonesien beherrschten. Doch weil der Streit zwischen dem jungen indonesischen Staat und den einstigen Kolonialherren um Neuguinea immer mehr eskalierte, sahen sie sich Ende der 1950er-Jahre gezwungen, die Niederlande zu verlassen und kamen schließlich in die Bundesrepublik. Sie studierten an der TU Berlin, in Hannover und Aachen, wo sie mit dem Erbe des Neuen Bauens der 1920er-Jahre und dem Funktionalismus, aber auch mit Hans Scharouns organischer Architektur in Berührung kamen.
Nur wenig war bisher über sie bekannt. Gesichert war nur, dass 17 Studierende aus Indonesien im Wintersemester 1958/59 eine Ausbildung an deutschen Architekturfakultäten absolvierten. Moritz Henning und Eduard Kögel konnten die meisten von ihnen identifizieren und die Stationen ihrer Karriere nachvollziehen. Dies war ein verzwicktes Unterfangen und erforderte mitunter detektivisches Arbeiten: Gerade zu ihren Bauten in Indonesien waren zunächst oft kaum Dokumente auffindbar, und ihre Karrierewege zu rekonstruieren, gestaltete sich entsprechend aufwendig.
Foto: Elias Baumgarten
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Das Buch fokussiert auf acht Architekten, die nach der Ausbildung in Deutschland besonderen Erfolg hatten. Im zweiten Teil finden sich ihre Diplomarbeiten, Biografien, Bauten und Entwürfe. Schnell wird klar, dass es die meisten nach dem Studium wieder gen Heimat zog; Soejoedi Wirjoatmodjo zum Beispiel, der nach einer Karriere beim Militär Architektur studiert hat. Sein Weg führte ihn über Paris und die TU Delft nach Berlin. Nachdem er in Deutschland erste praktische Erfahrungen gesammelt hatte, kehrte er nach Indonesien zurück, wo seine Berliner Diplomarbeit sogleich an der Universität von Bandung ausgestellt wurde. Er konnte in Asien wichtige Bauten realisieren, darunter die Botschaft seines Heimatlandes in Malaysia (1974–1976), den heutigen indonesischen Regierungssitz (1965–1984) und den Pavillon Indonesiens an der Weltausstellung des Jahres 1970 im japanischen Osaka.
Jan Beng Oei hingegen gehört zu jenen, die blieben: Er fand in Hans Scharoun, für den er einige Zeit arbeitete, ein Vorbild und einen Mentor. Scharoun vermittelte ihm eine Anstellung bei Chen Kuen Lee, einem aus China stammenden Architekten, der damals in Stuttgart tätig war. Jan Beng Oei gewann 1963 seinen ersten Architekturwettbewerb – für eine Schwimmhalle in Fellbach. Zwar wurde sein Entwurf schlussendlich nicht realisiert, was eine heftige Kontroverse auslöste, dennoch war dies der Startschuss für seine Karriere. Zu seinen besten Bauten gehören wohl das Bürgerzentrum von Waiblingen (1979–1985) und das Kulturzentrum Lindenhalle in Ehingen (1978–1984). Für Diskussionen sorgte indes sein Wohnkomplex mit Einkaufszentrum in Fellbach, die sogenannte Wohncity (1966–1976, mit Kurt Ebinger und Siegfried Schnell). Doch obschon der Bau bis heute als »Wohnklotz« verschrien ist, erfreut er sich bei den Bewohnenden erstaunlicher Beliebtheit.
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Besonders spannend ist unterdessen auch die Geschichte von Herianto Sulindro (vormals Kho Lin Hek). Der begeisterte Badminton-Spieler kam 1958 über Delft nach Westberlin. Anfang der 1960er-Jahre heuerte er im Büro von Adolf Böhringer in Hamburg an und entwarf dort unter anderem das bekannte Parkhotel Thordsen in Husum (1962). Bald wechselte er zur Stadt Hamburg und arbeitete für deren Baubehörde. 1963 bewarb er sich weiter in die Schweiz und erhielt eine Anstellung beim Hochbaudepartement der Stadt Zürich. Dort beschäftigte er sich unter anderem mit der Verkehrsplanung im Stadtteil Seefeld und dem Zentrum von Höngg. Ende der 1960er-Jahre erwog er kurzzeitig, in die Vereinigten Staaten auszuwandern, blieb der Schweiz aber am Ende treu und setzte seine Karriere bei der Stadt Zürich fort, die ihn in den 1980er-Jahren zum Adjunkt beförderte. Nebenbei entwarf er Häuser für Freunde in Lufingen, Locarno und Ascona, deren Pläne im Buch zu sehen sind. Erst nach seiner Pensionierung kehrte Herianto Sulindro 2017 nach Indonesien zurück, wo er heute lebt.
Foto: Elias Baumgarten
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Abgerundet wird das lesenswerte Buch mit einer wunderbaren Bildstrecke von William Sutanto und Moritz Bernoully. Die Aufnahmen zeigen zum Beispiel die Wohncity, an der Jan Beng Oei arbeitete, und dessen famoses Bürgerzentrum in Waiblingen. Auch Indonesiens Regierungssitz aus der Feder von Soejoedi Wirjoatmodjo ist ausführlich zu sehen. Die Texte schließlich sind in englischer Sprache verfasst, doch das stört nicht weiter: Sie lassen sich ohne besondere Mühe lesen.
Dipl.-Ing. Arsitek. German-trained Indonesian Architects from the 1960s
Moritz Henning und Eduard Kögel (Hrsg.)
210 x 230 Millimeter
232 ページ
430 Illustrations
Softcover
ISBN 978-3-86922-866-2
DOM publishers
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