Andreas Uebele: »Unsere Orientierungssysteme planen wir so, dass sie nicht nur im Regelfall funktionieren, sondern auch in der Ausnahme«

Katinka Corts
24. março 2023
Paracelsusbad Salzburg, 2020, Berger+Parkkinen (Foto: Kurt Heuvens)

Dieser Beitrag wurde von unserem deutschen Partnermagazin auf german-architects.com übernommen.

Andreas Uebele (*1960) studierte Architektur und Städtebau an der Universität Stuttgart und Freie Grafik an der Kunstakademie Stuttgart. 1996 gründete er sein eigenes Büro für Visuelle Kommunikation in der süddeutschen Metropole. Seit 1998 lehrt er Visuelle Kommunikation an der Fachhochschule Düsseldorf.

Das büro uebele visuelle kommunikation (1996) arbeitet in allen Bereichen der Visuellen Kommuni­kation. Seine Schwerpunkte liegen dabei auf visueller Identität, Informations- und Orientierungssystemen, Unternehmens­kommunikation und Web-Design. Die Arbeiten des Büros wurden in den letzten Jahren mit sehr vielen internationalen und nationalen Auszeichnungen gewürdigt. Eines der wichtigsten und bekanntesten Werke ist das Corporate Design für den Deutschen Bundestag.

Carolin Himmel, die seit 2016 Mitinhaberin und Geschäftsführerin beim büro uebele visuelle kommunikation ist, und Andreas Uebele (Foto: Joachim Baldauf)

»Sich orientieren« ist ein reflexives Verb, ich kann mich also nur selber orientieren, anhand der Merkmale in meiner Umgebung. Für diese sind Fachplaner für Orientierungssysteme zuständig. Sie vereinfachen komplexe Zusammenhänge und Abfolgen so, dass sich möglichst alle Nutzer*innen uneingeschränkt zurechtfinden können. Herr Uebele, in welchen Bereichen haben Orientierungssysteme heute die größte Wichtigkeit?

Sich orientieren zu können, ist ein Grundbedürfnis des Menschen. In einer gewohnten Umgebung, zu Hause zum Beispiel, ist das einfach. Dort sind Räume und Abläufe bekannt und man folgt einfach der Gewohnheit. Tritt man aber vor die Tür, wäre man dort schon ziemlich verloren, gäbe es keine Hausnummern, Klingelschilder und Straßennamen. 

Oder denken Sie an öffentliche Gebäude: Krankenhäusern zum Beispiel werden heute immer größer und vielschichtiger geplant, und Gewohnheiten helfen da nicht mehr weiter, stehen sogar eher im Weg. Auch in Verwaltungs- und Bürogebäuden gibt es komplexe Raumstrukturen, die heute anders sind als vor ein paar Jahrzehnten. Darin müssen sich aber nicht nur Betriebsinterne zurechtfinden, sondern auch Handwerker*innen, Techniker*innen und Besucher*innen sowie der Lieferservice. In einem gebauten System mit einer Vielzahl an Räumen müssen alle zu jeder Zeit ihr Ziel finden können.

HypoVereinsbank Hochhaus am Arabellapark, München, 2018, Henn Architekten (Foto: Brigida González)

Mit einigen Architekturbüros arbeiten Sie häufig zusammen, zum Beispiel wulf architekten und kadawittfeld. Auch andere planen den Bereich Orientierungssysteme mittlerweile von vornherein in ihren Projekten als externe Fachleistung ein. Dazu war aber eine deutliche Entwicklung vonnöten, kommen wir doch aus einer Zeit, in der Architekt*innen als (vermeintliche) Generalisten sehr viele Bereiche selber abgedeckt haben.

Kaum jemand mag es gerne, wenn ein anderer beim eigenen Projekt mitreden will, auch Architekturbüros nicht – und ich selber übrigens ebenfalls nicht. Da muss man sich ein bisschen überwinden. Dann aber machen wir oft die Erfahrung, dass unsere Partner*innen in den Architekturbüros das Entstandene gut finden und wir in anderen Projekten immer wieder zusammenarbeiten. Wichtig wäre aber auch, dass große Projektsteuerer Orientierungssysteme in ihren Aufgabenkatalog aufnehmen. 

Zu Beginn einer Planungsaufgabe müssen Sie erst einmal Teil des Projekts werden, sich das Gebäude mit den Augen der Nutzer*innen anschauen und Fragen formulieren, die jene an es haben, wenn sie sich darin orientieren wollen. Je nach Bauaufgabe stelle ich mir das nicht einfach vor. 

Man muss immer so anfangen, als würde man nichts kennen und nichts wissen. Wir hinterfragen selbst das Briefing, das wir bekommen, und konstruieren absurde Fälle, die es in den gewohnten Gedankengängen der Bauherrschaft oder der beteiligten Planer gar nicht gibt. Oft bekomme ich dann zu hören: »Das passiert nicht bei uns, das sind nicht unsere Abläufe.« Das weiß man aber nie! Unsere theoretischen Fälle sind vielleicht unwahrscheinlich, aber sehr wohl möglich. Und genau damit wollen wir rechnen: Unsere Orientierungssysteme planen wir so, dass sie nicht nur im Regelfall funktionieren, sondern auch in der Ausnahme.

Erweiterung der Pädagogischen Hochschule Tirol, Innsbruck, 2020, arsp architekten (Foto: Stefan Müller-Naumann)

Bauherrschaften sind im Bereich der Orientierungssysteme eher Laien. Um große Strukturen logisch zu gliedern und grafisch überzeugend verständlich zu machen, brauchen sie ein umfassendes Gestaltungskonzept. Wie erleben Sie den Weg von der Idee über den Entwurf bis zum Projekt?

Eine Idee entwickeln wir immer aus der Sache heraus, aus den Umständen, aus der Geschichte, aus dem Unternehmenszweck. Wir betrachten den Ort, wir lesen das Gebäude, wir sprechen mit den Menschen und wir finden in dem Vorhandenen den Stoff für das Neue. So haben Ideen eine innere Logik und werden von den Auftraggeber*innen verstanden und angenommen.  

Aufwendig ist es, Wünsche, Einwände und Ideen zu sammeln und alle zu integrieren. Die deutsche Konsensmentalität ist dabei Fluch und Segen zugleich. Wenn wir ein Projekt haben, präsentieren wir es zigmal in verschiedenen Gremien, in der Chefetage, vor den Gleichstellungsbeauftragten, vor Nutzer*innen aller Art und natürlich auch vor den Fachplaner*innen. Alle wollen gehört werden, und wir wollen auch alle hören. So können wir uns auseinandersetzen und Fehler vermeiden – das dauert halt.

Bei der Vielzahl an gesammelten Gedanken ist es wohl aber eher unrealistisch, allen gerecht zu werden. 

Das ist wahr, aber das müssen wir auch nicht, das ist nicht leistbar. Gerecht ist, wenn man sich bemüht, die verschiedenen Bedürfnisse und Anliegen mitzudenken und in der Gestaltung zu adressieren. So kommt man zu einer funktionierenden Lösung, die vielleicht nicht von allen gleichermaßen heiß geliebt wird, die aber von allen genutzt werden kann. Und darum geht es. Wer immer von allen gleichermaßen heiß geliebt werden will, der sollte professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Bonn, 2017, wulf architekten (Foto: Brigida González)
Handschrift imm DZNE von Andreas Streinbrecher (Foto: Brigida González)

Da wir gerade bei der Barrierefreiheit sind: Viele verbinden das Wort automatisch mit einer physischen Barriere, also zum Beispiel mit einer Schwelle, die Rollstuhlfahrer*innen nicht überwinden können. Barrieren sind aber auch unlesbare Schriften, unglücklich gehängte Beschilderungen, fehlende Kontraste und irritierende Farben. In Ihrem Berufsfeld müssen Sie – genauso wie Architekt*innen bei neuen Bauaufgaben – Bedürfnisse genau erkennen und richtig beantworten.

Das Interessante an unserem Beruf ist wirklich, dass wir jedes Mal gefordert sind, intensive Denkarbeit zu leisten. Es geht nicht vordergründig um Design, sondern zunächst um das Erkennen von Schwierigkeiten und Bedingungen der Aufgabe. 

Wussten Sie zum Beispiel, dass rund sechs Prozent aller Männer farbschwach sind? Oder dass Demenzkranke sich am besten über Farbtöne orientieren können? Bei Alzheimer-Erkrankten verändert sich als Erstes die Handschrift. Das Letzte, was den Betroffenen bleibt, ist ihr Farbgedächtnis. Für das Bonner Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen haben wir 2017 ein Orientierungssystem entworfen, das mit bis zu 40 Meter breiten, farbigen Pinselstrichen die weiße Architektur gliedert. Außerdem haben wir über 1000 Wörter von Hand auf die Wände aufgebracht. Dem Verlust des eigenen Ausdrucks der Erkrankten wollten wir ein lebensbejahendes Moment entgegensetzen und dem Haus einen unverwechselbaren, persönlichen Anstrich geben.

Klinikum Offenbach, 2010, woernerundpartner (Foto: Andreas Körner)
Klinikum Offenbach (Foto: Andreas Körner)

Auch im Klinikum Offenbach waren wir mit einer für uns neuen Situation konfrontiert: Jemand sagte uns, dass es in der Stadt und im Einzugsgebiet einen hohen Anteil an Analphabet*innen gibt. Außerdem leben dort viele Menschen, die die deutsche Sprache nicht verstehen. Für sie wollten wir eine Orientierung schaffen, dank der sie sich nicht hilflos und ausgeliefert fühlen. Mit geometrischen Farbmustern führen wir die Besucher*innen an ihr Ziele, die alle durch unverwechselbare Muster- und Farbkombinationen codiert und unterscheidbar sind. Man folgt also nicht einer Beschilderung, sondern einem Muster, das sich zum Beispiel an Tapeten, Türen und Tresen findet. Bei den Nutzer*innen schafft das Vertrauen und Sicherheit.

Mit einer großen Sprachvielfalt und den damit einhergehenden Kommunikationsproblemen hatten wir hingegen bei einer Schule in Essen zu tun. Der hohe Anteil von Migrant*innen unter den Schüler*innen brachte uns auf das Konzept, ein Orientierungssystem in sieben Sprachen aufzubauen. Die Räume sind jeweils in Deutsch und dazu in zwei weiteren, immer wieder anderen Sprachen angeschrieben.

Mit solchen Orientierungsangeboten können sich die Nutzer*innen in Verbindung setzen. Sie fühlen sich gemeint. Das perfekte Orientierungssystem können wir aber nicht schaffen. Oft ist das Problem, dass Gremien und Verbände sehr weitreichende Forderungen stellen bezüglich der Barrierefreiheit in einem Rathaus oder in einem Krankenhaus. Das verlangen öffentliche Orte eben. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass die Betroffenen da oft viel konzilianter sind und bestimmte Einschränkungen akzeptieren. 

Städtisches Klinikum Karlsruhe, Haus M, 2021. Architekten: wörner traxler richter, Künstler: Harald F. Müller, Text: Hannes Böhringer (Foto: Frank Blümler)
Städtisches Klinikum Karlsruhe, Haus M (Foto: Guido Kasper)

Wenn Sie von Ihren Projekten berichten, fällt mir die Bandbreite an öffentlichen und privaten Auftraggebern auf, mit denen Sie es zu tun haben. Als etabliertes Büro sind Sie gut vernetzt und haben entsprechende Referenzen vorzuweisen. Jüngere Büros hingegen müssen sich noch beweisen und versuchen zum Teil, über Wettbewerbe zu Aufträgen zu kommen. In der Architektur hat es der Nachwuchs häufig schwer, Fuß zu fassen. Wie gut gelingt das in Ihrer Branche? 

Das hängt immer vom Verfahren ab. Wettbewerbe empfinden auch wir – trotz unserer Erfahrung – oft als undurchsichtig. Ich würde nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass sie immer topseriös geführt werden. Und manchmal mangelt es in deutschen Fachjurys vielleicht auch mal an Fachleuten.

Wettbewerbe sind also generell schwierig, allein schon, wenn man die Anforderungen der Bewerbungsverfahren anschaut. Nehmen wir teil, müssen wir einen Mitarbeiter benennen, der mindestens drei Jahre Erfahrung hat und die geforderten Projekte in den entsprechenden Größen alle nachweisen kann. Manchmal muss das Projekt zusätzlich noch in einem Sanierungskontext stehen oder andere Besonderheiten aufweisen. Da kann man dann wirklich an einer Hand abzählen, welche Büros so spezielle Anforderungen überhaupt erfüllen können. Dabei ist gar nicht gesagt, dass diejenigen mit den passenden Referenzprojekten in der Vergangenheit für das aktuelle Projekt dann auch wirklich die Besten sind. Für mich ist das auf die Spitze getriebener Bürokratismus. Und es ist schade, dass damit so viele gute junge Büros nicht zum Zug kommen können.

Musikzentrum Baden-Württemberg, Plochingen, 2021, lro (Foto: Roland Halbe)
Musikzentrum Baden-Württemberg (Foto: Roland Halbe)

Was macht für Sie eine gute Gestaltung aus?

Mir ist es wichtig, dass ich mich niemals vom Design oder der Gestaltung her einem Thema nähere, sondern immer von der Funktion aus. Man darf weder der Sache noch sich selbst mit der Gestaltung im Weg stehen. Design ist eine Denkleistung, und oft sollte einfach mehr nachgedacht werden. 

Wenn wir zum Beispiel einen Plan für ein Nahverkehrsnetz entwerfen sollen, müssen wir die Bedingungen durchdenken, wie der Plan genutzt wird. Denn der Sinn eines Fahrplanes ist, dass er verstanden wird. Und zwar auch dann, wenn ich da in der Abenddämmerung stehe, wenn mein Handy-Akku leer ist und wenn ich in dieser Stadt, deren Nahverkehr ich nutzen will, womöglich fremd bin oder sogar die dort gesprochene Sprache nicht verstehe. Erst wenn ich in dieser Situation den Plan lesen und mich orientieren kann, ist die Aufgabe erfüllt. Mit anderen Worten: Ein Designkonzept ist das Ergebnis einer konsequenten Ausrichtung. Ich muss zu der Sache, für die ich etwas erarbeite, eine Haltung entwickeln. Ich muss wissen, wo ich damit hin will. Und dann arbeite ich alles entlang dieser Haltung durch bis zum Kern, bis zur Seele.

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