Was ist gute Schulhausarchitektur?

Ulf Meyer
26. agosto 2021
Foto © lenz + henrich, Gisela Erlacher

Schulen seien ein »lieu de mémoire«, sagt Jeremy Hoskyn, ein kollektiver Ort der Erinnerung. Dem kann man nur beipflichten: Die Architektur der Schulen, die man als Jungendlicher besucht hat, vergisst man zeitlebens nicht. Sie prägt. Schulen sind deswegen nicht nur ein breit diskutierter Bautypus, sondern ihre Gestaltung gehört auch zu den ureigensten Aufgaben unserer Disziplin.

Die vorherrschende Meinung darüber, welche Art von Schulbauten nun das Lernen am meisten unterstützt, ändert sich fortwährend. Besonders in den 1960er-Jahren wandelten sich pädagogische Konzepte grundlegend, und in der Folge änderte sich auch die Architektur von Schulhäusern wesentlich. Man kam ab vom Frontalunterricht in traditionellen Klassenräumen und bevorzugte stattdessen das selbstbestimmtere Lernen in flexibleren »Lernlandschaften« mit Ganztagesbetrieb.

Die Österreichische Gesellschaft für Architektur (ÖGFA) hat in ihrem neuen Buch »Stadtbaustein Schule 1941–2019« die Architektur von Bildungsbauten genauer unter die Lupe genommen. Besonders zwei Themen liegen den Herausgebern am Herzen. Einerseits wird das Potenzial von Schulstandorten erörtert, zu »lebendigen Quartierzentren« zu werden (die Mehrfachnutzungen von Schulen soll es Erwachsenen ermöglichen, am Abend die Gebäude ebenfalls zu nutzen). Andererseits wird das sogenannte Schulumfeld breit diskutiert und kategorisiert. Der »Übergang zwischen Schule und Stadt« ist für die Wahrnehmung der Schüler*innen demnach essentiell. 

Der pfirsichfarbene Band, dessen Beiträge auf einer Tagung der ÖGFA im Jahr 2018 basieren, fokussiert speziell auf Wien und die Schweizer Metropole Zürich. Die beiden Städte werden als Beispiele für ganz Mitteleuropa mit besonders interessanten Ansätzen im Schulbau präsentiert.

Montessori College Oost, Amsterdam, Niederlande, 1993–2000 (Foto © Herman Hertzberger)
Haarlemmer Houttuinen Housing, Amsterdam, 1979–1982 (Foto © Herman Hertzberger)

Es ist schade, dass Herman Hertzbergers einleitender Essay die Entwicklung im Schulbau der letzten Jahrzehnte ignoriert. Als Zeitdokument mögen bekannte Grundsätze wie »für Klassenzimmer ist nur noch wenig Bedarf, Veränderbarkeit soll an ihre Stelle treten« ja interessant sein, aber als Handlungsanleitung für Architekturschaffende und ihre Auftraggeber taugen sie wohl inzwischen nicht mehr. Vielleicht sind die Thesen aus den 1960er-Jahren in den Augen der Herausgeber aber unverändert aktuell? »Je länger der Korridor ist, desto schlechter ist der Architekt« – auf diese griffige Formel bricht es der niederländische Strukturalist herunter. Die Übersetzungskraft seines Manifests ist allerdings nicht maximal. Treppen sind für Hertzberger der wichtigste Ort einer Schule, durchgehende Geschosse sind hingegen überflüssig. Auch das ist keine neue Erkenntnis.

Im Buch folgen eine Presseschau zum Thema Schulbau und eine etwas wehmütige Diskussion über Helmut Richters Hightech-Hauptschule am Kinkplatz in Wien (1994), die sich in vielerlei Hinsicht nicht bewährt hat. 

Atlas unsichtbarer Räume: Henriettenplatz (Lageplan © Antje Lehn)

In seinem Beitrag über Zürcher Schulen beschreibt Jeremy Hoskyn, wie nach dreißig Jahren des Stillstands der Schulbau in der größten Stadt der Schweiz seit dem Jahr 2000 zu einem besonders wichtigen Teil des städtischen Bauens geworden ist. Nachverdichtung ist das Gebot der Stunde in der wachsenden Stadt, in den Neubauvierteln wurden prototypische Bauten wie die Schule »Im Birch« von Peter Märkli errichtet, die identitätsstiftend wirken und allesamt aus Wettbewerben hervorgegangen sind – wovon man im europäischen Ausland mitunter träumt. 

Beim Wiener »Schulbauprogramm 2000«, auf das Maik Novotny zurückblickt, wurden Gang- und Hallenschultypen fleißig gemischt. Modulbauten und Campusschulen kamen in den letzten Jahren zusätzlich auf – in Österreich wie der Schweiz. Die Vielfalt im zeitgenössischen Schulbau ist groß. Zurecht wird im Buch jedoch auch darauf hingewiesen, dass die Pausen- und Außenräume für die Prägung der Kinder und Jugendlichen oft wichtiger sind als der Hochbau. Und so lässt sich der Buchdeckel zu einem kleinen Poster entfalten – darauf zu sehen ist ein Schulhof.

Stadtbaustein Schule 1941–2019. Dichte Nutzung, urbane Vernetzung

Stadtbaustein Schule 1941–2019. Dichte Nutzung, urbane Vernetzung
Österreichische Gesellschaft für Architektur (Hrsg.)

128 Páginas
Kartoniert, Paperback
ISBN 9783035622218
Birkhäuser Verlag GmbH
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