Die Stadt als Ressource: Die Vienna Design Week zeigt, wie das geht

Susanna Koeberle
30. 九月 2024
Die Zentrale der Vienna Design Week war heuer in einem Rohbau von ARTEC Architekten im dritten Bezirk untergebracht. (Foto: eSeLat, Joanna Pianka)

Die 18. Ausgabe der Vienna Design Week (VDW) wartete mit einem Regelbruch auf. Disruptiv zu sein gehört allerdings zur Disziplin Design, insofern war die Neuerung keinesfalls ein negativer Vorbote: Erstmals war die Festivalzentrale in einem Rohbau statt wie üblich in einer Zwischennutzung untergebracht. Wien wächst, davon zeugt auch die Entwicklung eines neuen Quartiers im dritten Bezirk, des sogenannten »Village im Dritten«. Teil davon ist auch das Bauprojekt »Docks«, für das das Wiener Architekturbüro ARTEC verantwortlich zeichnet. Die Arbeiten sind so weit fortgeschritten, dass darin ein Teil der VDW stattfinden konnte. Die beiden lang gestreckten, bogenförmigen Baufelder 15 und 16 bilden eine Art Schutzschild zum vielbefahrenen Landstraßer Gürtel. Die insgesamt rund 9000 Quadratmeter große Fläche soll dereinst Platz bieten für verschiedene Nutzungen wie Gewerbe, Büros, Gastronomie, Werkstätten, Ateliers, Co-Working-Spaces – oder eben schon vorher für Designausstellungen und die dazugehörigen Events. 

Ehrlich gesagt: Die unmittelbare Umgebung des Neubauprojekts ist nicht gerade malerisch. Auch ist der Ort mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht so einfach zu erreichen. Das soll sich in Zukunft ändern. Wir zogen es vor, zum Eröffnungsabend ein Taxi zu nehmen. Der Kommentar des Taxifahrers zum Docks: Holz sei das falsche Material für so einen Bau, das werde doch innert Kürze dreckig und hässlich, schimpfte er gegen die Architektur. Das ist sein gutes Recht, auch als Laie. Andererseits gehe ich davon aus, dass die Verwendung des Naturbaustoffs einen Grund haben wird. Vielleicht Nachhaltigkeit? Das suggeriert zumindest die große Photovoltaikanlage auf der weitläufigen Dachterrasse des Gebäudes, die auch Schauplatz war einer Installation der VDW. Das Village im Dritten ist als autofreies Quartier geplant. Blickt man auf die Visualisierungen der restlichen Bauwerke des neu entstehenden Viertels, mutet das Docks geradezu als Kontrast dazu an – sprich einladend. Aber hier soll es nicht um Architekturkritik gehen, sondern um Design. Und zur Präsentation von solchem eignete sich diese Architektur sehr gut! 

Die Locations der VDW waren wie immer auf die ganze Stadt verteilt, doch viele Formate, die dieses kuratierte Designfestival auszeichnen, finden in der Zentrale statt. Sie ist gleichsam die Visitenkarte des Events. Das Format »Passionswege« konzentriert sich ebenfalls auf den Fokusbezirk – dieses Jahr eben Landstraße. Zu den beiden Passionswege-Kollaboration später mehr. 

Auch die Dachterrasse des Gebäudes wurde als Ausstellungs- und Eventfläche der VDW genutzt. (Foto: eSeLat, Joanna Pianka)

Die hellen Räumlichkeiten der diesjährigen Zentrale schufen eine ideale Bühne, um viele spannende Projekte zu entdecken. Dank der guten Wegführung und der übersichtlichen Präsentation der einzelnen »Posten« fand man sich gut zurecht und konnte die Ausstellungen quasi scheibenweise konsumieren, ohne planlos in einem alten Gebäude herumschweifen zu müssen. Auch das hat zwar seinen Reiz, doch einer zügigen Visite kam diese Lösung sehr entgegen. 

Zum Konzept des Festivals gehört es, geselliges Zusammensein zu kultivieren. Die diesjährige Festivalkantine, die den klingenden Namen »Biofabrique Kantine« trug, gehörte für mich zu den Highlights der VDW. Denn sie zeigte, wie sich innovative Prozesse relativ schnell implementieren lassen. Und wie gute Dinge durch Vernetzung entstehen. Im Rahmen der Klima Biennale Wien, die bis am 14. Juli stattfand, war das Pilotprojekt Biofabrique Vienna der Wirtschaftsagentur Wien und des Atelier LUMA zu sehen. Ziel war, innerhalb von 100 Tagen aus wenig genutzten Ressourcen der Stadt neue Werkstoffe für Architektur und Design zu entwickeln. Damit war die Brücke zum Format »Urban Food & Design« geschlagen, das zur VDW gehört und das von der Wirtschaftsagentur Wien unterstützt wird. 

Die Biofabrique Kantine von studio dreiSt. (Foto: eSeLat, Joanna Pianka)
Am Projekt beteiligt waren auch Studierende der TU Wien. (Foto: eSeLat, Joanna Pianka)

In einem Open Call wurde das Architekturkollektiv studio dreiSt. – bestehend aus Martin Kohlbauer, Luisa Zwetkow und Sophie Coqui – ausgewählt, einen Aufenthalts- und Hospitality-Bereich für die diesjährige Festivalzentrale zu entwerfen. Dabei kam der bioregionale Ansatz des Designforschungslabors Atelier LUMA zur Anwendung. Denn Ressourcen sind überall vorhanden; gerade in einer Stadt gibt es tonnenweise Abfall. Auch in Wien. Wie man diesen nutzen kann und wie daraus neue Materialien entstehen können, war eine Semester-Aufgabe, die Studierende der TU Wien am Institut für Architektur und Entwerfen gestellt bekamen. Dabei ging es nicht nur um das Entwickeln von neuen Rezepturen, sondern auch darum, an die entsprechenden Ressourcen zu kommen. Diesbezüglich entstand schnell ein großes Netzwerk, das immer weitere Kreise zog. Das Potenzial eines Wissensaustauschs zwischen vielen Akteurinnen und Akteuren ist dabei enorm. 

Die Lebensmittelindustrie und die Bauwirtschaft sind große Erzeuger von Abfall – leider. Das wird sich auch so schnell nicht ändern. Diese ungenutzten und oft übersehenen Stoffe neu zu verwenden, könnte eine Lösung sein. Klingt einfach, ist es aber nicht: Wie jedes Mal, wenn man Neuland betritt, gibt es eine Reihe von Schwierigkeiten, will man diese Prozesse nicht nur anstoßen, sondern auch als alltägliche Praxis etablieren. Gerade in der Bauwirtschaft geht es um viel Geld, Bauaufträge füttern ganze Zulieferketten. Zusätzlich gibt es noch das Problem der Zertifizierung. Und, und, und. Dennoch: Es war faszinierend zu sehen, was überhaupt möglich ist. Das modulare System, das studio dreiSt. aus diesen Materialien entwickelt hat, war einfach und funktional – und sah dabei gut aus. 

Die Ausstellung »Fokus: Trash« war kuratiert von Anton Rahlwes und Nina Sieverding. (Foto: eSeLat., Vienna Design Week 2024)

Apropos Trash: Dieses Thema scheint aktuell eine gewisse Anziehungskraft zu haben. Man denke schon nur an das Modewort »trashy«. Auch das Gruppenausstellungsformat »Fokus« widmete sich für diese Festivalausgabe dem Thema Trash. Die beiden Gastkuratoren Anton Rahlwes und Nina Sieverding versammelten in ihrer Schau Objekte von Gestalterinnen und Gestaltern, die den Wert von Abfall ausloten und hinterfragen. Die gezeigten Arbeiten führten den experimentellen Charakter von Design vor – und ebenso dessen Humor und seine Fabulierlust! 

Ein Paradebeispiel für die kreative und überraschende Kontamination zwischen Disziplinen und Expertisen ist während der VDW stets das Format Passionswege. Die historische Firma Lobmeyr, die 2023 ihr zweihundertjähriges Bestehen feierte, war schon verschiedentlich Teil davon und ist dem Festival wohlgesonnen. Dieses Jahr erarbeitete die Designerin Flora Lechner ein zauberhaftes, flexibel gestaltbares Mobile. Dabei wurde das Thema Gleichgewicht zum Symbol für das Finden einer Balance, die eine solche Zusammenarbeit erfordert. Lechner verwendete für ihren Entwurf »Tamed Imbalance« die Materialien Glas und Metall. Auch Letzteres gehört nämlich zur DNA der Manufaktur, obschon es häufig unsichtbar ist. 

Passionswege-Projekt: Der Designer Alexandre Delasalle und die Graveurmeisterin Kerstin Lubach arbeiteten zusammen. (Foto: eSeLat., Vienna Design Week 2024)

Bei der zweiten Passionswege-Präsentation trafen zwei ganz unterschiedliche Welten aufeinander: das uralte Handwerk des Kupferstechens und die moderne Illustration. Kirsten Lubach führt das einzige verbliebene Kupferstichkabinett in Wien. Das Handwerk ist sehr alt und sehr zeitaufwendig. Geht etwas schief, muss die Graveurmeisterin von vorn beginnen. Mit dem französischen Designer und Künstler Alexandre Delasalle verbindet sie die Faszination für Bildsprache und Schriftzeichen. Delasalle ging die Herausforderung mit großer Offenheit an und wollte nichts vordefinieren, wie er bei der Pressetour sagte. Er war zum einen tief beeindruckt von Lubachs Handwerk, zum anderen wollte er den Kupferdruck auch »hacken«: Er entschied, auf Seide zu drucken statt wie üblich auf Papier. Kupferstiche wurden tatsächlich schon in der Vergangenheit auf Stoffe gedruckt, jedoch ging das Wissen über diesen Prozess verloren. Bei seiner Recherche stieß der Designer auf historische Naturdarstellungen und entwickelte diese weiter. Er tat mit anderen Worten das, was die amerikanische Philosophin Donna Haraway »speculative fabulation« nennt. Indem er die Bildwelten erweiterte und sampelte, schuf er Motive, die zuweilen an Figuren aus japanischen Science-Fiction-Animes erinnern. Design verbindet disparate Universen miteinander. 

Im Kupferstich- und Druckatelier Lubach: Redakteurin Susanna Koeberle im Gespräch mit Festivaldirektor Gabriel Roland (Foto: eSeLat., Vienna Design Week 2024)

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