Wenn Architektur Gemeinschaft fördert
synn architekten
1. März 2024
Foto: Hertha Hurnaus
synn architekten haben in Wien zwei Wohnhäuser gebaut, deren Fassaden ihre Kraft aus der lockeren Setzung unterschiedlich großer Balkone gewinnen. Bettina Krauk erklärt, wie die Letzteren der Kommunikation, aber auch als Rückzugsorte dienen.
Frau Krauk, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Ein Wohnbau kann in seiner seriellen Ausgestaltung als pragmatisch verstanden werden. Doch unter Umständen ergibt sich auch ein einfaches oder vielleicht sogar trockenes Erscheinungsbild. Etwas Besonderes entsteht, wenn man das Serielle und scheinbar Einfache erkennt und daraus etwas Charmantes macht, das in seiner Schlichtheit doch eine gewisse Spannung zu entwickeln vermag.
Unser Gebäude besticht durch seine schlichte Farbwahl – es komplett in Weiß gehalten. Durch den Einsatz unterschiedlicher Materialien und Oberflächen wirkt es trotzdem spannend und vielschichtig. Alle größeren Wohnung verfügen jeweils über einen kleinen und einen großen Balkon in unterschiedlichen Tiefen und Positionen. Dadurch entwickelt sich an den Fassaden ein abwechslungsreiches Spiel mit Tiefe, Überdeckungen und Ausladungen. Licht und Schatten verstärken diesen Effekt noch und lassen unser Gebäude extrovertiert erscheinen. Wir finden, dass es wie ein Kommunikationsexperte wirkt.
Interessant ist, dass es nicht bei der ästhetischen Wirkung bleibt, sondern unsere Gestaltung tatsächlich die Kommunikation der Bewohnenden untereinander fördert: Wir haben erste Rückmeldungen erhalten, dass eine echte Hausgemeinschaft entstanden ist. Natürlich liegt das vor allem an den Menschen, aber wir denken doch, dass die Architektur eine anregende Rolle dabei spielt.
Die Wohnungen besitzen Balkone unterschiedlicher Größe und Tiefe. Das verleiht der Fassade des weißen Baukörpers eine ansprechende Dynamik. (Foto: Hertha Hurnaus)
Licht und Schatten stärken die Wirkung des Spiels der Balkone zusätzlich. (Foto: Hertha Hurnaus)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Wir wurden mit der Ausführung zweier gegenüberliegender Bauten beauftragt: ein eher städtisches Gebäude in der geschlossenen Bebauung an der Straße und ein Einzelgebäude in der zweiten Zeile zur Bahn hin. Unsere Häuser wirken als durchlässige Filterschicht zum öffentlich genutzten Grünbereich «freie Mitte» nahe der Gleise. Diese Filterfunktion hat uns inspiriert, die Wohnhäuser auch als leichte Gebäude zu verstehen, die sich locker in die Umgebung eingliedert und auch kommunikativ mit dieser umgeht. Wir erreichen dies vor allem mit den gerade erwähnten großen Balkonen und den an diesen verbauten Lochblechen. Letztere tragen dazu bei, dass die Balkone Räume der Kommunikation sind, aber doch geschützt genug, dass sich niemand wie auf dem sprichwörtlichen Präsentierteller fühlt. Und wenn man einmal keine Lust hat zu kommunizieren und lieber für sich sein will, geht man eben auf den kleineren Balkon und zieht sich zurück.
Die großen Balkone der Wohnungen sind als Kommunikationsräume gestaltet. Gleichzeitig bleibt die Privatsphäre geschützt. (Foto: Hertha Hurnaus)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?
Den Wohnungen durch »besondere« Außenräume das gewisse Etwas zu geben, war der Wunsch der Bauherrschaft. Das Gebäude sollte sich dadurch etwas von den Nachbarbauten unterscheiden. Die Kosten mussten dabei allerdings trotzdem im Auge behalten werden. Das Besondere liegt für uns in der Anzahl der Balkone, die zwar seriell sind, aber doch unterschiedlich gestaltet, und natürlich in der Materialwahl.
Wir beschäftigen uns bereits seit mehreren Projekten mit dem Thema des Freiraums bei Wohnungen. Die Freifläche wird unserer Meinung nach immer wichtiger, auch weil die Wohnungen selbst immer kleiner werden. Einen Balkon architektonisch so zu behandeln, dass er ein wirklich gut nutzbarer Bereich wird, ein zusätzlicher Raum, der weder beengend noch dunkel wirkt, in dem sich aber auch niemand ausgeliefert fühlt, damit beschäftigen wir uns. Bei einem unserer letzten Projekte, der Wohnanlage »querbeet« in Wien, haben wir bereits unter anderem mit vorgehängten Streckmetallelementen gearbeitet. Die Erfahrungen daraus haben wir nun an der Schweidlgasse einfließen lassen und eine noch stärker reduzierte Form entwickelt. Die Wirkung wird dadurch nicht geschwächt, sondern vielleicht sogar eher noch gestärkt.
Die Verwendung von Elementen aus Streckmetall haben synn architekten bereits beim Wohnbauprojekt »querbeet« (2019) erfolgreich erprobt. (Foto: Hertha Hurnaus)
Foto: Hertha Hurnaus
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?
Ganz wichtig war die Beschäftigung mit den Materialien der Balkone. Wie schaffe ich einen leicht wirkenden, aber zumindest teilweise geschützten Bereich, der von den Bewohnenden nach ihren Vorstellungen mit Sonnenschutz, Rankseilen und dergleichen ergänzt werden kann? Bodenplatte und Seitenwände sowie das Vordach wurden aus statischen Gründen aus Stahlbeton-Fertigteilen gebaut, die leichte Konstruktion drauf, die die nachträgliche Montage der eben erwähnten Elemente durch die Bewohner*innen ermöglicht, wurde in Stahl ausgeführt. Das perforierte Mäanderblech in einem Teilbereich bietet bereits die Grundausstattung und soll zu einer weiteren Aneignung anregen. Das Lochblech als Filterschicht erscheint uns als eine Art Vorhang für außen ideal geeignet, die Mäanderform verstärkt dies noch und sorgt für ein schönes Licht-und-Schatten-Spiel. Durch die weiße Farbe integriert sich dieses Produkt dezent in das Gesamtbild und drängt sich nicht auf.
Lageplan (© synn architekten)
Grundriss Erdgeschoss (© synn architekten)
Schnitt (© synn architekten)
Wohnanlage Nord 7 »white«
Standort
Schweidlgasse 23/1, 1020 Wien
Nutzung
Wohnbau
Auftragsart
Planerauswahlverfahren
Bauherrschaft
ÖVW – Österreichisches Volkswohnungswerk Gemeinnützige GmbH
Architektur
synn architekten, Wien
Michael Neumann, Bettina Krauk und Isabel Messner
Fachplaner
Carla Lo Landschaftsarchitektur, Wien
Bauleitung
ÖVW
Fertigstellung
2022
Gebäudevolumen
Bebaute Fläche 591 m2, BGF OI 3356 m2, 46 Wohneinheiten
Auszeichnung
»gebaut 2022«-Auszeichnung der Abteilung Architektur und Stadtgestaltung der Stadt Wien (MA19)
Fotos
Hertha Hurnaus, Wien