Wo wirtschaftlich umweltfreundlich bedeutet

Elias Baumgarten
28. März 2024
Foto: Nadia Christ

Das Dorf Ngabobo liegt abgeschieden im Norden Tansanias auf einer Hochebene zwischen dem 4500 Meter hohen Vulkan Mount Meru und dem gewaltigen Bergmassiv des Kilimandscharo. Dort eine Schulanlage zu bauen, ist eine wichtige Aufgabe, stellt Architekturschaffende aber vor gewisse Herausforderungen: Brauchbares Bauholz ist in der Region Mangelware, gute Lehmgruben sind zu weit entfernt. Und Materialien im großen Stil von weit her heranzuschaffen, verbietet sich nicht nur aus ökologischen Gründen, sondern wäre für die Gemeinschaft finanziell auch gar nicht zu stemmen.

Was zunächst nach erschwerten Bedingungen klingt, begreifen Annika Seifert und Gunter Klix von APC Architects sowie Wolfgang Rossbauer, die junge Architektinnen und Architekten an der HSLU ausbilden, als Chance: In einem internationalen Team haben sie eine umweltschonende Lowtech-Architektur für Ngabobo entwickelt. Mit ihrem Entwurf konnten die Architekturschaffenden 2019 einen von der Stiftung Africa Amini Alama ausgeschriebenen Wettbewerb gewinnen. Die Hilfsorganisation möchte die bestehende Dorfschule schrittweise zu einem Montessori-Campus mit Primarschule, Werkstätten, Häusern für Lehrpersonal und Kinder sowie einer Krankenstation ausbauen. Das neue Schulhaus gehört zur ersten Bauetappe und ist inzwischen fertiggestellt.

Die neue Schule im Bau: Gut zu erkennen ist die besondere geometrische Konfiguration mit den eingedrehten Klassenzimmern. (Foto: Gunter Klix)
Das filigrane Dach scheint über dem Baukörper zu schweben. (Foto: Nadia Christ)

Ngabobo liegt unweit des Äquators auf 1100 Metern über dem Meer. Die Jahrestemperatur schwankt zwischen 18 und 23 Grad, und die Sonne hat große Kraft, insbesondere dann, wenn sie flach aus östlicher oder westlicher Richtung einwirkt. Angesichts dieser besonderen klimatischen Bedingungen hat das schweizerisch-tansanische Architektenteam ein Schulhaus für 10 Klassen entworfen, das ohne Haustechnik auskommt. Dazu wurde der längliche Baukörper in Nord-Süd-Richtung ausgerichtet. Die Klassenzimmer sind um 45 Grad eingedreht. Dieser Kniff bringt eine Reihe an Vorteilen: Die Klassen, die durch Zwischenzonen voneinander getrennt sind, öffnen sich nach Norden und Süden, eine direkte Einstrahlung der flach stehenden Sonne wird also verhindert. Auch ist so eine effizient Querlüftung möglich. Dadurch bleiben die Räume selbst bei großen Schülergruppen und an heißen Tagen kühl.

Gleichzeitig lässt die Drehung der Klassenzimmer Raumnischen entstehen, die bewusst nach Osten und Westen geöffnet sind. Diese Räume sind merklich wärmer. Gestaltet haben sie die Architekten als Rückzugsorte zum Aufwärmen und für ruhiges Arbeiten. In gewissem Maße sind sie eine Referenz an den traditionellen Unterricht im Freien unter Bäumen.

Die neue Schule greift die Nord-Süd-Ausrichtung des benachbarten Bestandsbaus auf. Die Klassenzimmer sind um 45 Grad eingedreht. So entstehen in dem Gebäude ohne Haustechnik zwei Klimazonen: kühle Klassenzimmer und wärmere Lernnischen. (Grundriss Erdgeschoss: © APC Architects und Wolfgang Rossbauer)
Funktionsweise von Querlüftung und warmen Raumnischen (© APC Architects und Wolfgang Rossbauer)
Das nach außen offene Treppenhaus kann als Veranstaltungsraum genutzt werden. (Foto: Nadia Christ)
Foto: Nadia Christ

Aufgrund der Geometrie des Schulhauses und der Speicherfähigkeit der Konstruktion konnte, wie angedeutet, auf Gerätschaften zur Heizung und Kühlung verzichtet werden. Gemauert ist die Schule aus lokalem Vulkansand, der mit geringen Mengen an Zement zu tragfähigen Blöcken verarbeitet wurde. Eine Armierung braucht es dafür nicht. Das Fundament besteht aus Naturbruchsteinen – wie es in der Region Tradition ist. Das Dach wiederum ist aus Stahl und einheimischem Holz gebaut. Die Dachhülle scheint auf der filigranen Konstruktion über dem Baukörper zu schweben – ähnlich wie man es unter anderem auch von den Bauten des Pritzker-Preisträgers Francis Kéré in Burkina Faso kennt. So spendet das Dach Schatten und schützt vor den bisweilen heftigen Regenfällen in der Gegend, während gleichzeitig der Wind angenehm durch das Bauwerk streichen kann.

Im Gebäudeinneren wurden die Oberflächen teils von einheimischen Handwerkerinnen mit Lehm und Stroh verkleidet. Diese regionale Tradition erhöht den Komfort und verbessert die Akustik. 

Foto: Nadia Christ
Die Lernnischen dienen als Rückzugsorte neben den Klassenzimmern. (Foto: Benjamin Staehli)

Die preisgekörnte Schule beweist ein weiteres Mal, dass es nicht zwingend der hochtechnisierten, »smarten« Lösungen der Bauindustrie bedarf, um energiesparende und doch behagliche Gebäude zu schaffen. Wie zum Beispiel bei den Häusern der jungen Architektin Saikal Zhunushova oder dem Wohn- und Atelierhaus von Heinrich Degelo in Basel führt auch bei der Schule in Ngabobo ein so einfacher wie kluger Lowtech-Ansatz zu einem Bauwerk, dessen Betrieb quasi keine Energie verbraucht. Auch zeigt das Projekt erneut, dass klimagerechtes Bauen kostengünstig sein kann – wenn nach Möglichkeit lokale Materialien und Bautechniken genutzt werden. Antworten auf die drängenden architektonischen Fragen unserer Zeit, so lässt sich bilanzieren, finden sich eben durchaus auch in der Baugeschichte.

Eine weitere Besonderheit der Schule ist schließlich ihr starker Bezug zur Natur: Die Kinder können die Kräfte der Natur anhand des unterschiedlichen Raumklimas erleben. Pädagogisch ist das wertvoll. In Mitteleuropa fehlt diese Naturnähe derweil leider zumeist. Das Planungsteam hofft nun, dass seine Primarschule Kolleginnen und Kollegen hierzulande inspiriert: »Wir meinen, so ein Ansatz könnte auch für unsere Breitengrade relevant sein – quasi als Gegenposition zu den biosphärisch abgeschotteten, gedämmten und belüfteten Innenräumen.«

Foto: Nadia Christ
Situation (© APC Architects und Wolfgang Rossbauer)
Grundrisse Erd- und Obergeschoss (© APC Architects und Wolfgang Rossbauer)
Axonometrische Darstellung von Konzept und Konstruktion (© APC Architects und Wolfgang Rossbauer)

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