Verdient und ermutigend: Pritzker-Preis für Francis Kéré
Elias Baumgarten
17. mars 2022
Foto: Lars Borges
Francis Kéré erhält die höchste Auszeichnung der Architektur. Eine gute Entscheidung der Jury, beantwortet der Kosmopolit doch schon seit zwei Dekaden drängende Fragen unserer Zeit.
Viel Häme musste die Hyatt Foundation, die den Pritzker-Preis vergibt, in den letzten Jahren über sich ergehen lassen. Wieder und wieder wurden und werden ihr die eklatanten Fehler der Vergangenheit vorgehalten. Doch in den letzten Jahren ist ein Umdenken gelungen: Nach der Auszeichnung für Yvonne Farrell und Shelley McNamara (2020) sowie für Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal (2021) liegt die Jury in diesem Jahr ein weiteres Mal richtig: Sie vergibt den wichtigsten Architekturpreis überhaupt, der auch gerne als »Nobelpreis für Architektur« bezeichnet wird, an Diébédo Francis Kéré. Diese Entscheidung ist auch politisch: Endlich, endlich wird ein auf dem afrikanischen Kontinent geborener und dort tätiger Architekt ausgezeichnet. Wie Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal im Vorjahr verdient Kéré den Pritzker-Preis vor allem wegen seiner Haltung und seines Engagements. Bereits seit geraumer Zeit beschäftigt er sich mit den wichtigsten Fragen des neuen Jahrtausends, baut er mit einem Einsatz ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig, der seinesgleichen sucht. Dass er nun geehrt wird, tut dem Preis gut und steigert seinen Wert.
Francis Kéré über seine Haltung
In Burkina Faso aufgewachsen, kam Kéré 1985 dank eines Stipendiums nach Deutschland, wo er eine Lehre als Schreiner absolvierte und sein Abitur machte. Anschließend studierte er an der TU Berlin Architektur, – heute nennt er die Stadt an der Spree seine »intellektuelle Heimat«. Bald schon entpuppte sich der stets positive und gut aufgelegte Architekt nicht nur als überaus talentiert, sondern vor allem auch als extrem engagiert. Selbst noch ein Student, entwarf der älteste Sohn eines Häuptlings eine Primarschule für sein Heimatdorf Gando (er selbst hatte als Junge noch zu Verwandten ziehen müssen, um eine Schule besuchen zu können). Er gründete eine Stiftung, sammelte Geld und baute die Schule schließlich gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung – welch eine bewundernswerte Leistung. Noch vor seinem Abschluss im Jahr 2004 wurde das Projekt mit dem bedeutenden Aga Khan Award for Architecture ausgezeichnet. Aus heutiger Sicht ist das Schulhaus ein Schlüsselwerk. Das Projekt nahm nämlich bereits vieles vorweg, was Kérés Architektur bis heute auszeichnet: die Beteiligung der Menschen vor Ort, den intelligenten Einsatz traditioneller lokaler Baustoffe, den sparsamen Umgang mit Ressourcen, die Schaffung eines behaglichen Raumklimas ohne technischen Aufwand und die Verbindung von Einfachheit und einer eleganten Ästhetik.
Die Primarschule von Gando realisierte Francis Kéré noch während seines Studiums. Gebaut ist sie aus Lehm, doch auch Zement kam zum Einsatz. Das weit überhängende und »schwebende« Dach sorgt dafür, dass Wind durch den Bau streichen kann. Eine Klimaanlage gibt es nicht. (Foto: Erik-Jan Ouwerkerk)
Foto: Erik-Jan Ouwerkerk
Inzwischen ist die Schulanlage gewachsen. Hinzu kamen ein Haus für die Lehrer (2004) und eine famose Bibliothek (2019). Die Positionierung der Bauten ist dem Sonnenstand und den Windströmungen geschuldet. (Foto: Erik-Jan Ouwerkerk)
Kéré über die Schulanlage von Gando
2005 gründete Kéré ein eigenes Büro, das heute von Berlin und Burkina Faso aus arbeitet. Neben der praktischen Tätigkeit begann er schon bald zu unterrichten: 2013 wurde er an die Accademia di architettura nach Mendrisio berufen, nachdem er 2011 bereits als Gastprofessor an die Harvard Graduate School of Design kam. Im Herbst 2017 übernahm er dann einen Lehrstuhl an der TU München. In seinem Atelier in Gando arbeiten Studierende der bayerischen Hochschule mit einheimischen Handwerkern und Gestalterinnen zusammen. Denn der Austausch zwischen Europa und seiner Heimat, die er niemals vergessen hat, ist Kéré wichtig. Dabei ist ihm klar, dass Herangehensweisen zwischen Afrika und Europa nicht ohne Weiteres übertragbar sind. Doch eine Vereinfachung des Bauens sei immer anzustreben, sagte er unserer Redaktorin Susanna Koeberle 2017 in einem Interview anlässlich der Engadin Art Talks, und auch der Einbezug der Bevölkerung sei stets sinnvoll. Er schafft nämlich Identifikation bei den Menschen und macht sie stolz.
»Die Beteiligung ist in meinen afrikanischen Projekten sehr wichtig, denn damit vollzieht sich ein Wissenstransfer. In vielen Orten in Afrika besteht ein grosser Mangel an Fachleuten. Ich beziehe in meinen Bauten auch neue Techniken ein, dadurch lernt die Bevölkerung. Es gibt aber noch weitere Aspekte: Durch die koloniale Vergangenheit wurden die Leute passiv, man wartet darauf, dass etwas gebaut oder geflickt wird. So kann keine eigenständige Architektur entstehen. Deswegen versuche ich, die Leute in meine Projekte einzubinden, was zudem auch die Baukosten reduziert. Und: Durch ihre aktive Beteiligung sind die Leute stolz auf ihre Bauten, sie identifizieren sich damit.«
Bei seinen Projekten in Afrika setzt Kéré in gleichem Maße auf sein in Europa erworbenes Wissen und auf regionale Naturbaustoffe. Dabei legt er sich nicht auf ein bestimmtes Material wie Lehm oder Holz fest, sondern passt sich flexibel den örtlichen Gegebenheiten an. Kéré ist Idealist, aber auch Pragmatiker, er verbaut auch Zement und Beton, wenn es ihm notwendig erscheint. Wichtig ist ihm die Einbindung der lokalen Bevölkerung. Von seinen Mitarbeitern angeleitet, sollen die Menschen lernen. Kéré möchte sie in die Lage versetzen, selbst zu bauen und eine eigenständige Architektur zu schaffen. Ein Schlüsselprojekt hinsichtlich der Beteiligung der Menschen vor Ort ist das Operndorf, das in Etappen nordostwärts der Hauptstadt Burkina Fasos entsteht. Die Idee zu dem Vorhaben entwickelten Christoph Schlingensief (1960–2010), ein deutscher Film- und Theaterregisseur, und Kéré 2009. Schirmherr des Vorhabens ist übrigens Horst Köhler, Deutschlands einstiger Bundespräsident. Auch wenn das Projekt noch nicht vollendet ist, sei es sein meistbesuchtes überhaupt, sagt Kéré.
Operndorf, Laongo, seit 2010 (Visualisierung: Francis Kéré)
Operndorf (Foto mit freundlicher Genehmigung von Francis Kéré)
Benga Riverside School, Tete, 2017–2018 (Foto mit freundlicher Genehmigung von Francis Kéré)
Francis Kéré ist Kosmopolit. Neben der Staatsbürgerschaft von Burkina Faso besitzt er mittlerweile auch die deutsche. Und längst nicht nur in Afrika ist er als Architekt erfolgreich, sondern weltweit: In London gestaltete er den Sommerpavillon der Serpentine Galleries, in den Vereinigten Staaten baute er für das Tippet Rise Art Center. Verdientermaßen wurde er für seine Arbeit schon vielfach ausgezeichnet. Neben dem Aga Khan Award gewann er den Global Award for Sustainable Architecture, den Global Holcim Award in Gold und den Swiss Architecture Award. 2021 erhielt er die prestigeträchtige Jefferson-Medaille. – Und nun also folgt der Pritzker-Preis. Es ist ein schönes Zeichen, das damit gesetzt wird: Kérés Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, und sein Wille, sich für die Gemeinschaft einzusetzen, imponieren wie seine Bescheidenheit und seine gewinnende Ausstrahlung. Seine Arbeit mit lokalen Baustoffen und sein bedachter Umgang mit Ressourcen sind ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung einer umwelt- und menschenfreundlichen, zukunftsfähigen Baukultur – genau wie sein Lowtech-Ansatz und die Aktivierung regionaler Wertschöpfung.
Sommerpavillon der Serpentine Galleries, London, 2016 (Foto: Iwan Baan)
Pavillon des Tippet Rise Art Center, Montana, 2019 (Foto: Iwan Baan)
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