Baukultur vermitteln und ihren Diskurs fördern

Susanna Koeberle
11. Januar 2024
Das 2018 eröffnete Architekturhaus in Salzburg leistet Vermittlungsarbeit. (Foto: Volker Wortmeyer)

Salzburg ist nicht Bilbao. Mit anderen Worten: Wegen moderner Architektur besucht man diese Stadt nicht. Das hätte allerdings durchaus der Fall sein können, denkt man an die nicht zustande gekommene Vision Hans Holleins (1934–2014) für ein Guggenheim-Museum im Innern des Mönchsbergs. Dennoch spielt Architektur für Salzburg touristisch betrachtet eine zentrale Rolle, denn es ist mitunter sein einzigartiges historisches Stadtbild, das diesen Ort zum beliebten Reiseziel macht. Was die beiden Städte nebst der Guggenheim-Referenz sonst noch miteinander verbindet, sind die Schattenseiten eines exzessiven Tourismus. Salzburg, Bilbao und andere europäische Städte sind mit einem Dilemma konfrontiert: Obwohl die Destinationen auch davon leben, bedeutet der Massentourismus für die lokale Bevölkerung eine Verminderung der Lebensqualität; die Stichworte lauten Touristifizierung und Gentrifizierung. Wenn Städte zu einer eingefrorenen Bühne für Tourist*innen werden, dann leidet auch ihre natürliche – wobei dieses Wort schon zu Diskussionen Anlass geben könnte – Entwicklung darunter; dazu zählt das Verweben von Moderne und Geschichte, etwas also, das zu einer genuinen Stadtentwicklung gehört. 

Das wiederum wirft die Frage auf, was Architekturschaffende dazu beitragen können, den öffentlichen Diskurs über eine Architektur als lebendiges und öffentliches Gut zu fördern. Genau das hat sich die in den frühen 1990er-Jahren gegründete Initiative Architektur zur Aufgabe gemacht. 2018 wurde das Architekturhaus in der Riedenburg, einem Stadtteil westlich des Mönchsbergs, eröffnet. Der Ort soll dazu beitragen, »eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit den Themen der Baukultur, Stadtentwicklung und der Landschaftsplanung« möglich zu machen, wie es auf der Website des Vereins heißt. Nebst dem Organisieren von Ausstellungen, Vorträgen und Symposien im Architekturhaus bietet der Verein auch Architekturführungen an; er betreut zudem seit 2008 den online Architekturführer »archtour Stadt Salzburg« sowie in Kooperation mit nextroom eine Baudatenbank, die moderne Architektur in Salzburg dokumentiert. Daneben wickelt die Initiative Architektur mehrere Architekturpreise ab, die sie organisiert. 

Die Themen Baukultur, Stadtentwicklung und Landschaft werden im Architekturhaus breit diskutiert. Der Ort entstand durch das Engagement der Initiative Architektur. (Foto: Volker Wortmeyer)

Durch dieses Engagement initiiert sie eine öffentliche Debatte über Architektur jenseits der politischen Kampfzonen. Eine solche Plattform kann die gesellschaftliche Akzeptanz moderner Architektur aktiv fördern. Denn das Verständnis dafür ist nicht einfach so gegeben; auch deswegen, weil Politiker*innen dazu neigen, sich in erster Linie mit prestigeträchtigen Kulturbauten verewigen zu wollen. Altstadterhaltungsgesetz hin oder her: Damit sich Salzburg wandeln und weiterentwickeln kann, bedarf es einer Offenheit gegenüber zeitgemäßer und nachhaltiger Stadtentwicklung. Dazu gehört, dass das Arbeiten und Wohnen in der Altstadt trotz Tourismus möglich bleibt, beziehungsweise sichergestellt werden kann. Solche Alltagsthemen anzusprechen und voranzubringen, ist nicht einfach. 

Was die zeitgenössische Architektur Salzburgs betrifft, gilt wohl deswegen das primäre Augenmerk dem Umbau oder der Erweiterung von Kulturhäusern; denn diese tragen wesentlich zum Ruf der Marke Salzburg bei. Ein gelungenes Beispiel für eine solche Intervention ist das im Oktober 2022 eröffnete neue Foyer der Internationalen Stiftung Mozarteum an der Schwarzstraße, das 2023 den Staatspreis Architektur gewann. Der Foyerbau überzeuge »als beispielhaftes Projekt für die Revitalisierung und Modernisierung einer Kulturinstitution«, begründete die Jury beim Wettbewerb ihren Entscheid. »Der bauliche Eingriff in den Bestand strahlt moderne Leichtigkeit aus. Kluge architektonische Gesten schaffen eine selbstverständliche Orientierung im gesamten räumlichen und funktionalen Kontext; die räumliche Ergänzung ist modern und innovativ und stellt die Besucherinnen und Besucher sowie das Konzerterlebnis in den Mittelpunkt.« Das Projekt von Maria Flöckner und Hermann Schnöll ist ein Beispiel, wie man im denkmalgeschützten Gebiet des Salzburger Weltkulturerbes zeitgenössisch bauen kann.

Das Projekt von Maria Flöckner und Hermann Schnöll gewann 2023 den Staatspreis Architektur. (Foto: Wolfgang Lienbacher)

Das neue Foyer verbindet nicht nur die beiden Häuser des Mozarteums – das Konzerthaus und das Lehrgebäude der 1880 gegründeten Institution –, sondern auch zwei Epochen. Der vom Münchner Architekten Richard Berndl (1875–1955) entworfene Gebäudekomplex im Stil des Späthistorismus ging damals aus einem Wettbewerb hervor und wurde zwischen 1911 und 1914 errichtet. Ein großes Fest zur Eröffnung musste wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges abgesagt werden. Was in Berndls Entwurf hingegen fehlte, war ein adäquater Pausenraum für die 800 Menschen, die im Großen Saal Platz finden. Die Erweiterungspläne des Architekten scheiterten in der wirtschaftlich schwierigen Zeit der 1920er-Jahre, und auch eine spätere Restaurierung vermochte das Problem nicht zu lösen.

Außenansicht des neuen Foyers bei abendlicher Lichtstimmung (Visualisierung: © ISM / podpod / Floecknerschnoell)

Um diesen Mangel endgültig zu beheben, wurde nach einer Vorbereitungsphase 2017 ein geladener, zweistufiger internationaler Wettbewerb ausgeschrieben, den Maria Flöckner und Hermann Schnöll für sich entscheiden konnten. Die Herausforderung bestand darin, weiterzubauen, also neue Funktionen zu erfüllen, die gesetzlichen Vorschriften einzuhalten und zugleich einen zeitgenössischen Akzent im Stadtgefüge zu setzen. Das gelang dem Büro durch ein Paradoxon: Es schuf eine Verbindung durch Offenheit. Das Instrument für dieses verbindende Element sei eine »begehbare räumliche Struktur aus Glas und Stahl, die das Licht bis auf den Boden der Stadt fluten lässt und den Raum zur Stadt hin öffnet«, schreiben Flöckner und Schnöll in einer Publikation zum Bau. Damit schaffen sie inklusive Begegnungsräume im eigentlichen wie im übertragenen Sinne. 

Das neue Foyer ist laut der Architekten eine »begehbare räumliche Struktur aus Glas und Stahl«. (Foto: © Andrew Phelps)

Um einen Begegnungsraum ging es auch bei einem Projekt im Osten des Stadtzentrums, dem 2003 eröffneten »Hangar 7«. Der Architekt Volkmar Burgstaller machte ebenfalls die Werkstoffe Glas (380 Tonnen) und Stahl (1200 Tonnen) zu den Hauptprotagonisten des Bauwerks; wegen seiner aufwendigen Statik wurde ein internationales Ingenieurbüro beigezogen. Die 1754 zum Teil speziell gebogenen Glastafeln, die alle verschiedene Maße haben, lassen durch ihre Transparenz den Hangar je nach Wetterlage und Tageszeit in einem anderen Licht erscheinen. Wie beim benachbarten, ein Jahr später erbauten und etwas eleganter daherkommenden »Hangar 8« lässt die aerodynamische Form des Baus an einen Flugzeugflügel denken. Auch inhaltlich passen die beiden Glasbauten zur Philosophie des Mutterkonzerns Red Bull. In den beiden zylindrischen Türmen beidseits des Eingangs des »Hangar 7« befinden sich Büros sowie die gastronomischen Angebote. 

Der »Hangar 7« beherbergt ein Museum sowie mehrere Gastronomieangebote. (Foto: Helge Kirchberger Photography)

Das öffentlich zugängliche multifunktionelle Gebäude ist nicht nur Heimat der Sammlung historischer Flugzeuge, Helikopter und Formel-1-Rennwagen des im Oktober 2022 verstorbenen Unternehmers Dietrich Mateschitz. Mit den dazu gehörenden Bars, einem Restaurant sowie einem Café ist der Bau auch Veranstaltungsort und Treffpunkt. Er dient zudem auch als Fernsehstudio und als Location für Kunstausstellungen. Bei diesem aufwendigen Projekt habe er viel gelernt, sagt Burgstaller bei einer Führung. Daraus sei ein ähnliches Projekt entstanden: Die Glaskuppel für das Hotel Schloss Mönchstein, die sich wie ein transparentes Netz über die Terrasse des Hauses spannt. 

An der Frontseite erkennt man die aerodynamische Form besonders gut. Im gegenüberliegenden kleineren »Hangar 8« werden die historischen Flugzeuge gewartet. (Foto: Helge Kirchberger Photography)

Diese erweiterte Perspektive ist auch zukünftigen Architekturprojekten zu wünschen. Und davon sind einige in der Pipeline. Genannt sei nicht zuletzt die Sanierung, Neuorganisation und Erweiterung des Festspielbezirks, dessen prägender Architekt Clemens Holzmeister (1886–1983) war. Das Siegerprojekt des 2022 entschiedenen Wettbewerbs stammt vom Wiener Büro Jabornegg & Pálffy. »Mit dem Projekt Festspielbezirk 2030 wird diese für das Salzburger Kulturleben so zentrale Infrastruktur für die Zukunft gesichert und weiterentwickelt. Der Bestand wird nachhaltig saniert und die am Ende ihres Lebenszyklus stehende Gebäude- und Bühnentechnik erneuert. Um den Anforderungen eines modernen und effizienten Produktionsbetriebes zu entsprechen, liegt ein weiterer Fokus auf der Erweiterung der Arbeitsräume – insbesondere von Werkstätten und Garderoben für die Künstlerinnen«, steht auf der eigens für das Großprojekt eingerichteten Website

Dieser Auftritt ist insofern wichtig, als dass dieses Bauvorhaben noch einige Hürden überwinden muss. Nach dem Motto »Sensibilisieren ist immer der erste Schritt in Richtung Realisieren« wurde 2023 die Ausstellung »Große Oper – Viel Theater?« des Deutschen Architekturmuseums (DAM) ins Architekturhaus der Initiative Architektur gebracht. Sie wurde aus diesem Anlass um das Projekt »Festspielbezirk 2030« erweitert und um die entsprechenden Fakten ergänzt. Der letzte Akt ist noch nicht geschrieben.

Luftaufnahme des Festspielbezirks (Foto: © TSG / Breitegger)

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