Möglichkeitsraum statt Bauschutt

Smartvoll Architekten
15. September 2023
Begrünte Atrien bringen Tageslicht in die tiefen Räume der einstigen Lagerhallen. Zudem sorgen sie für einen Bezug zum Außenraum und zur Natur. (Foto: Dimitar Gamizov, Smartvoll Architekten)
Herr Kircher, Herr Buxbaum, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Christian Kircher: Dieses Projekt war in vielerlei Hinsicht besonders – angefangen bei der Lage über die Bestandstypologie bis hin zu den daraus resultierenden Herausforderungen und Möglichkeiten; und nicht zu vergessen das hohe Maß an Flexibilität, das der iterative Planungsprozess erfordert hat. 

Ein Konglomerat an leerstehenden Lagerhallen aus den 1970er- und 1980er-Jahren in einem Industriegebiet am Rande der kleinen Salzburger Gemeinde Bergheim – das klingt zunächst nicht nach einem großen Potenzial. Man denkt an dunkle Hallen, unterkomplexe Atmosphäre und industrielle Maßstäbe. Und all diese vermeintlich ungünstigen Parameter haben wir dann auch wirklich vorgefunden, als wir die Hallen das erste Mal besichtigten. 

Philipp Buxbaum: Allerdings blieben die Gebäude nicht lange so. Mit minimalinvasiven Eingriffen in die Substanz ließen sich viele dieser scheinbaren Nachteile, die Christian eben aufgezählt hat, zu Vorteilen machen. Sobald die Hochregallager aus den Hallen entfernt waren und die neuen Atrien Tageslicht in die Tiefe der Räume brachten, wurde klar, dass die schiere Größe der Bauten eine ungeahnte gestalterische und räumliche Freiheit bietet. Eine so große leerstehende Kubatur ist eigentlich ein Traum für Architekt*innen. Das Potenzial, das in nicht mehr genutzten Industrieanlagen schlummert, wird unserer Meinung nach hierzulande noch völlig unterschätzt. 

Wo immer es der Bestand zuließ, wurden große Fensterflächen eingebaut. So wird erlebbar, dass die Industrieanlage von wunderbaren Wäldern umgeben ist. (Foto: Dimitar Gamizov, Smartvoll Architekten)
Das Innere einer der Hallen vor dem Umbau (Foto: Dimitar Gamizov, Smartvoll Architekten)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Christian Kircher: Man könnte glauben, dass es in einem Industriegebiet atmosphärisch nicht viel zu holen gibt. Anders ist das in Bergheim, wo sich in der unmittelbaren Umgebung des Gewerbegebiets traumhafte Wälder befinden und man herrliche Ausblicke auf die Berge ringsherum hat. Hier konnten wir gestalterisch ansetzen, auch wenn die Bestandsbauten aufgrund ihrer einstigen Bestimmung zunächst überhaupt nicht auf den Außenraum reagierten.

Wo die Substanz es zuließ, haben wir große Verglasungen eingesetzt, die den Blick auf den angrenzen Wald freigeben. In direkter Nachbarschaft zu einem Bach und manchmal sogar von Rehen beobachtet, konnten wir so atmosphärische Arbeitsplätze mit Naturbezug schaffen. 

Zudem bringen begrünte Atrien, wie Philipp eben schon angedeutet hat, viel Tageslicht in die Hallen und stellen einen ganzjährigen Bezug zum Außenraum sicher. Ergänzt haben wir sie durch Terrassen und Balkone, die in den oberen Geschossen den Blick auf die Almlandschaften der umgebenden Bergwelt freigeben. 

Auch Terrassen und Balkon sorgen neu für einen starken Außenraumbezug. (Foto: Dimitar Gamizov, Smartvoll Architekten)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Philipp Buxbaum: Ein Projekt wie das Handelszentrum 16 ist nur mit einer Menge Mut, Vorstellungskraft und Flexibilität machbar. All das brachte der Bauherr Marco Sillaber mit. Anders als es sonst üblich ist, folgte die Planung nicht den klassischen Abläufen. So gab es beispielsweise kein fixes Raumprogramm, das untergebracht werden musste. Vielmehr wurden die passenden Mieter*innen für die Flächen sorgfältig ausgewählt, sodass sich ein funktionierendes Miteinander entwickeln konnte. Heute findet man von der Garnelenfarm in der einstigen Tiefgarage über Büroflächen bis zur Ballettschule unterschiedlichste Funktionen vor. 

Die riesigen leeren Räume der Industriebauten boten großes architektonisches Potenzial. In Österreich könnten noch viele weitere Anlagen wie die in Bergheim umgenutzt werden. (Foto: Dimitar Gamizov, Smartvoll Architekten)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Philipp Buxbaum: Dieser attraktive Funktionsmix erforderte maximal flexibel nutzbare Räume. Wie viel muss definiert sein, damit eine Funktion vorstellbar ist, ab welchem Punkt determiniert man schon zu viel und verunmöglicht damit die Nutzung? Diese Frage stellten wir uns im Laufe der Planungen unentwegt.

Um verschiedenste Nutzer*innen anzulocken, mussten die Räumlichkeit so vielseitig wie möglich bespielbar sein – eine gestalterische Herausforderung für die Architekten. (Foto: Dimitar Gamizov, Smartvoll Architekten)
Foto: Dimitar Gamizov, Smartvoll Architekten
Auch Räume für sportliche Aktivitäten sind vorhanden. Die zugehörigen Umkleiden verfügen über Wände aus Glasbausteinen. (Foto: Dimitar Gamizov, Smartvoll Architekten)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Christian Kircher: Das Handelszentrum 16 ist eigentlich die logische Konsequenz unserer bisherigen Projekte. Zum einen konnten wir mit Marco Sillaber in Salzburg bereits die Markthalle und das Loft in der Panzerhalle umsetzen, zum anderen entsprechen Adpative-Reuse-Projekte genau unserer Büro-Philosophie. 

Wir versuchen, mit unseren Projekten architektonische Antworten für aktuelle gesellschaftsrelevante Themen zu finden und dadurch einen Mehrwert für möglichst viele Menschen zu schaffen. In diesem Fall konnten wir durch den Erhalt des Bestands 25'500 Kubikmeter Beton vor dem Abbruch bewahren und somit 0,5 Prozent des jährlichen österreichischen Abbruchabfalls einsparen. Zudem stehen in Österreich noch unzählige weitere Hallen in Gewerbegebieten leer, weil sich die Anforderungen an die Logistik seit ihrer Entstehung drastisch verändert haben. Diese Flächen zu reaktivieren und ihnen neues Leben einzuhauchen, könnte eine Alternative zur Bebauung immer neuer Grundstücke sein, die in unserem Land leider noch die Regel ist.

Durch große Fensterflächen blickt man seit dem Umbau in den nahen Wald. (Foto: Dimitar Gamizov, Smartvoll Architekten)
Lageplan (© Smartvoll Architekten)
Grundriss (© Smartvoll Architekten)
Bauwerk 
Handelszentrum 16
 
Standort
Handelszentrum 16, 5101 Bergheim
 
Nutzung
Multifunktionales Gewerbeobjekt 
 
Auftragsart
Direktvergabe
 
Bauherrschaft
Marco Sillaber, IMMO-PARTNER Verwertungs GmbH, Salzburg
 
Architektur
Smartvoll Architekten, Wien
Christian Kircher, Philipp Buxbaum, Dimitar Gamizov, Olya Sendetska, Viola Habicher, Maythisa Yenchit und Lukas Bayer 
 
Bauleitung
Thomas Nußbaumer, Spiluttini Bau GmbH, St. Johann im Pongau
 
Inbetriebnahme
2021
 
Fotos
Smartvoll Architekten

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