Typisch Weinviertel
Franz&Sue
23. September 2022
Foto: Lisa Rastl
Franz&Sue haben für die kleine Gemeinde Immendorf in Niederösterreich einen Kindergarten entworfen. Julia Aigner erläutert, wie der behagliche Holzbau die Architektur der traditionellen Bauernhäuser der Region aufgreift.
Frau Aigner, welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Der Kindergarten Immendorf befindet sich im nördlichen Weinviertel – in einer Gegend also, die von Streckhöfen geprägt ist. Bei diesem Gebäudetyp ist die Giebelseite des Hauses auf die Dorfstraße gerichtet, die Räume sind dahinter nacheinander unter einem Dach aufgereiht und ausschließlich hofseitig begehbar. Bereits beim Wettbewerb haben wir diese ursprüngliche Hausform aufgegriffen, denn wir mögen die Kombination aus heimeliger Geborgenheit und grüner Weite, die diese traditionellen Bauernhäuser charakterisiert. Nun strecken sich die drei Kindergartengruppen fingerartig in den großen Garten aus und bekommen so Tageslicht von drei Seiten. Sie haben alle einen eigenen Ausgang ins Freie und in einen eigenen Hof. In Verbindung mit der Pergola sind so atmosphärische, schattige Spielbereiche entstanden, die die Kindergartenpädagog*innen gut überblicken können. Unser Bauwerk ist eine Reminiszenz an traditionelle niederösterreichische Streckhöfe, neu interpretiert für die nächsten Generationen.
Foto: Lisa Rastl
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
In der 400-Einwohner-Gemeinde mit ländlichen Strukturen hatten wir keinen städtebaulichen Anhaltspunkt. Das Baufeld war eine grüne Wiese am Ortsrand. Mit unserem Entwurf wollten wir dem Ort eine Identität geben und den Kindergarten in die landwirtschaftlich geprägte Umgebung integrieren. Dies haben wir durch den eingeschossigen Bau, der wie gesagt an die für das Weinviertel typischen Streckhöfe angelehnt ist, geschafft.
Foto: Lisa Rastl
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?
Um eine möglichst wohnliche und behagliche Atmosphäre für die Kinder zu schaffen, haben wir den Werkstoff Holz im Inneren als wichtiges Gestaltungselement eingesetzt. Dies hat sich erst im Laufe der Planung ergeben, beim Wettbewerbsentwurf war noch eine andere Lösung vorgesehen. Nun dominieren die Wände aus Fichtenholz und die Grobspanplatten, die zwar geschliffen, aber nicht lackiert sind, damit sich das Holz mit den Kindern mitentwickeln kann.
Foto: Lisa Rastl
Foto: Lisa Rastl
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?
Bei Franz&Sue haben wir bereits viele Schulbauten realisiert. Dabei sind uns besonders die vielfältigen Möglichkeiten zur Kommunikation, transparente Bildungsräume und Orte zum Austoben und Wohlfühlen wichtig. Zu einer kindgerechten Architektur zählen für uns Lern- und Spielmöglichkeiten im Innen- und Außenbereich. Außerdem ist wichtig, dass sich die Kinder und Jugendlichen sicher und selbstbewusst in ihrem Gebäude bewegen können.
Beim Kindergarten Immendorf haben wir dies durch einen verbreiterten Gangbereich mit einer zusätzlichen Spielfläche erreicht. Einbauregale dienen als Bibliothek, in den Spielnischen können Bilderbücher angeschaut werden oder die Kinder spielen Eisenbahn. Von dieser »Dorfstraße« gelangen sie in ihre drei »Häuser«, die Gruppenräume mit privateren Rückzugsnischen, die die Kinder als Schlafkojen oder Spielküche nutzen. Die unterschiedlich großen Räume fördern die soziale Interaktion, sie geben den Kindern die Möglichkeit, sich auszutauschen oder auch einmal zurückzuziehen.
Foto: Lisa Rastl
Foto: Lisa Rastl
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?
Die freiliegenden Holzbalken prägen den Raumeindruck und vermitteln den Kindern unbewusst Architektur, da sie Rhythmus und Struktur vorgeben und zeigen, wie Bauen und Konstruieren funktionieren. Die Holzdecke auf Sicht zu belassen, war nur möglich, weil wir die Haustechnik wie Lüftung und Fußbodenheizung im Bodenaufbau integriert haben. Der Werkstoff Holz zieht sich weiter in die Gruppenräume und in den Außenbereich – eine bewusste Entscheidung, um eine möglichst angenehme Atmosphäre für die Kleinen zu schaffen.
Eine wissenschaftliche Studie in der Steiermark hat einmal untersucht, wie sich Klassenzimmer in Holz auf die Schüler*innen auswirken. Das Ergebnis war, dass die Kinder in einem aus konstruktivem Holz errichteten Umfeld signifikant weniger Herzschläge pro Tag hatten als jene in den Standardklassen. Das bedeutet laut den Forscher*innen, dass sie nachweislich entspannter und leistungsfähiger waren. Da Kindergärten die ersten Wohn- und Lernräume von Kindern außerhalb der Familien sind, sind die positiven Auswirkungen von Holz dort besonders wesentlich.
Lageplan
Grundriss Erdgeschoss
Längs- und Querschnitt
Kindergarten Immendorf
Standort
Immendorf 252, 2022 Immendorf
Nutzung
Bildungsbau
Auftragsart
Geladener Wettbewerb
Bauherrschaft
Marktgemeinde Wullersdorf
Architektur
Franz&Sue, Wien
Julia Aigner (Projektleitung), Daniel Kleber und Barbara Hohensinn
Fachplaner
Statik: Petz, Wien
Gebäudetechnik: Zencon, Wien
Landschaftsplanung: EGKK, Wien
Bauphysik: Stefan Moser, St. Pölten
Bauleitung
A quadrat, Tulln
Jahr der Fertigstellung
2021
Gebäudevolumen
4255 m3
Maßgeblich beteiligte Unternehmer
Baumeister: DI Daniel Brabenetz, Wullersdorf
Zimmerer: Graf Holztechnik, Horn
Haustechnik: Seifried Sanitär- und Heizungstechnik, Hollabrunn
Elektrotechnik: Elektro Piglmaier, Hollabrunn
Dach: Seyfried – Jecho, Hollabrunn
Fenster: PSP Holz, Rohrendorf
Tischler: Tischlerei Ernst, Wullersdorf
Fotos
Lisa Rastl