Weiterbauen im historischen Zentrum von Innichen

Pedevilla
15. Dezember 2023
Das Gästehaus wertet die Färberstraße merklich auf, die parallel zu Innichens Fußgängerzone verläuft. In Position und Ausrichtung orientiert sich das Haus an der historisch gewachsenen Bebauungsstruktur. (Foto: Gustav Willeit)
Alex, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Das Projekt im historischen Zentrum von Innichen befindet sich in unmittelbarer Nähe der Fußgängerzone. Sie liegt im Norden, und im Süden hat man einen unglaublichen Blick auf das Haunoldmassiv, Innichens Hausbergkette, die direkt außerhalb des Ortes rund 3000 Meter emporragt. Diesen Ausblick wollte die Bauherrschaft für sieben gehobene Ferienapartments.

Das Erdgeschoss sollte ein Treffpunkt sein – für Einheimische wie Touristen gleichermaßen. Tagsüber ist es Café und Bar, abends ein Farm-to-Table-Restaurant. Die Überlegung, dass alle Lebensmittel von Landwirten aus der unmittelbaren Umgebung bezogen werden sollen, ging vom eigenen Bauernhof der Bauherrschaft aus. Sie verfolgt ein ganzheitliches und authentisches Tourismuskonzept. Darum sollte das Gebäude auf den Ort mitsamt seiner Geschichte, seiner Kultur und seinem Handwerk eingehen. Angestrebt wird ein nachhaltigerer Luxus durch Einfachheit, kurze Wege und durch Materialien, die eine edle Patina zulassen. Bei einer touristischen Bauaufgabe in Südtirol ist ein solches Bekenntnis leider noch immer die seltene Ausnahme.

Durch seine Giebelständigkeit tritt das Haus als eigenständiger Bau in Erscheinung, zugleich passt es zum Charakter des Ortes. (Foto: Gustav Willeit)
Bei dem Steinhaus wurde Dämmbeton eingesetzt. Das Material erlaubt, mit einer einfachen Konstruktion aktuellen energetischen Vorschriften zu entsprechen. (Foto: Gustav Willeit)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Wir haben ein total verbautes Bestandsgebäude vorgefunden, das leer stand und bei dem man nach so vielen Um- und Anbauten nicht einmal mehr ablesen konnte, auf welchem Geschoss überhaupt der ursprüngliche Eingang lag. Auch die Firstrichtung kam uns seltsam vor: Der First war um 90 Grad gedreht zu allen anderen Häusern in der Straße. Also haben wir in den Archiven gestöbert und herausgefunden, dass auch dort tatsächlich einmal ein giebelständiges Haus gestanden hatte, das noch dazu von der Straße zurückgesetzt war und einen eigenen Vorgarten hatte. Aus dieser Spurensuche haben wir dann die Idee des heutigen Hauses abgeleitet.

Neben der eigentlichen Bauaufgabe hatten wir die Chance, das Projekt auch ortsbaulich zu nutzen und aus der Fußgängerzone heraus eine neue Wegverbindung anzubieten. Das soll ein Anstoß sein, auch die Seitenstraßen in den kommenden Jahren mehr zu beleben.

Inspiration haben wir außerdem auch aus dem Material geschöpft, das wir vor Ort finden konnten.

Aus den Wohnungen hat man einen herrlichen Blick auf Südtirols majästetische Bergwelt. (Foto: Gustav Willeit)
Blick aus einer Loggia (Foto: Gustav Willeit)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Jede Wohnung ist mindestens zweiseitig orientiert. Star der Szenerie ist aber das Panorama im Süden. Ähnlich einer Theaterloge hat deswegen jede Wohnung ihre eigene geschützte Loggia bekommen. Die Terrasse des Restaurants im Erdgeschoss ist abgetreppt und lenkt den Blick immerzu auf die Berge. Das Haus ist umgeben von einem typischen Zirbenduft, der von der Möblierung im Außenraum, aber auch von den Loggien ausgeht.

Der Einsatz regionaler Hölzer wie lasierter Fichte und wohlriechender Zirbe steht im Einklang mit der eingefärbten Dämmbetonfassade und den handgefertigten Terrazzoböden, Verputzen und Dachplatten, die in Farbe und Körnung auf den ortstypischen Sextner Bachstein verweisen. Aus diesem Stein wurden im nahen Umkreis viele bedeutende historische Bauwerke errichtet, darunter die Stiftskirche aus dem 12. Jahrhundert. Damit spiegeln die verwendeten Materialien auch im Neubau die Geschichte des Ortes wider.

Im Innenraum weckt die konzentrierte Farb- und Materialwahl eine Vertrautheit und Geborgenheit, die den beschützenden, wohligen Stuben im Hochgebirge nachempfunden ist. Aus den Wohnungen wird das Auge zur Aussicht geführt, während von der Struktur mit den erdigen Tönen ihrer Oberflächen ein wertiges und repräsentatives Gefühl ausgeht.

Eine tropfenförmige Ornamentik taucht an den verschiedensten Elementen auf und unterstreicht über den emotionalen Zugang das Gefühl der Wertigkeit. Die Verankerung in der Geschichte des Standorts wird dabei besonders spürbar, die herzliche Gastlichkeit soll architektonisch erlebbar sein. Hanf und Schafwolle aus der Region kamen als Teil dieses Ornaments, aber auch bei den Textilien zum Einsatz.

Die verwendeten Kalkputze wurden mit dem lokal vorhandenen Gestein, das in verschiedenen Körnungen gemahlen wurde, mal händisch aufgetragen und ausgewaschen, mal grob aufgespritzt.

Einheimische Hölzer prägen die Wohnungen und sorgen für eine behagliche Atmosphäre. (Foto: Gustav Willeit)
Spiel zwischen holzigen und mineralischen Materialien (Foto: Gustav Willeit)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Wir hatten natürlich klare Vorgaben zur Raumnutzung und zum Bauvolumen. Bei der Umsetzung des Projekts hat uns die Bauherrschaft aber vollkommen vertraut. So hatten wir vor allem rund um die Ausführungsplanung und Baustelle relativ freie Hand.

Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Viele Kollegen kennen es vielleicht: Die Sache mit den erforderlichen Stellplätzen hätte beinahe ein zweites Untergeschoss erfordert. Angesichts der Grenzbebauung mit wirklich komplizierten Unterfangungsmaßnahmen waren wir froh, dass wir unseren Entwurf dahingehend noch optimieren konnten. Wir haben der Bauherrschaft so eine Menge Geld gespart, das wir nicht in der Erde vergraben mussten, sondern in die Qualität des restlichen Hauses investieren konnten.

Auch die Räume des Restaurants im Erdgeschoss werden gestalterisch von einer tropfenförmigen Ornamentik geprägt. (Foto: Gustav Willeit)
Foto: Gustav Willeit
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten eures Büros ein?


Das ATTO spiegelt gut unsere Auffassung von Architektur wider. Das Spiel zwischen den holzigen und den mineralischen Räumen, aber auch das Ornament und die gewählten Oberflächenstrukturen lassen es zu einer gestalteten Komposition werden. Die Räume in sich betrachtet wurden auf ihr Wesen hin ausformuliert, sodass sie einen emotionalen Bezug zum Ort herstellen, sich authentisch auf die Geschichte beziehen und die Geborgenheit einer Herberge vermitteln. Und wie immer in unseren Projekten dominieren die unbehandelten Oberflächen aus regionalen Naturmaterialien – die ihren Ausdruck mit der Zeit erst entfalten.

Foto: Gustav Willeit
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Wir bauen mit lokalen Materialien, mit lokalen Handwerkern und den Charakteren der Menschen, die hier leben. Es ist keine intellektuelle, sondern vielmehr eine emotionale Angelegenheit: Wir wollen unseren Projekten die Möglichkeit geben, in Würde zu altern.

Blick auf die abgetreppe Terrasse (Foto: Gustav Willeit)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Dass wir heute wieder ein Steinhaus bauen können und trotzdem alle energetischen Vorschriften einhalten, haben wir den Materialinnovationen der letzten Jahre zu verdanken. Der Dämmbeton hat es uns ermöglicht, zu einem einfacheren Bauen zurückzukehren, das in Kontinuität mit der Vergangenheit steht – hinsichtlich der Beständigkeit, der Wartungsfreiheit, der Widerstandsfähigkeit, der Konstruktion, des Ausdrucks und der Ehrlichkeit. Aber so ist es auch mit jedem anderen regional bezogenen Material wie Holz, Hanf und Schafwolle, das wir auf Grundlage jahrhundertealten Wissens unbehandelt einsetzen können. Uns geht es um Materialien, die ein gewisses Leben zulassen, die wir berühren möchten, die uns in ihren Bann ziehen und die Emotionen auslösen, die Wertschätzung und Erhaltungswillen hervorrufen – sie sind es doch, die zum Erfolg eines jeden Bauwerks beitragen.

Durch die Optimierung der Tiefgarage konnte Geld gespart werden, das sodann für die Gestaltung des restlichen Bauwerks zur Verfügung stand. (Foto: Gustav Willeit)
Lageplan (© Pedevilla Architects)
Grundriss Tiefgarage (© Pedevilla Architects)
Grundriss Erdgeschoss (© Pedevilla Architects)
Grundriss Regelgeschoss (© Pedevilla Architects)
Grundriss Dachgeschoss (© Pedevilla Architects)
Bauwerk
ATTO Suites
 
Standort
Färberstraße 6, 39038 Innichen, Südtirol
 
Nutzung
Restaurant und Apartmenthaus
 
Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Privat
 
Architektur
Pedevilla Architects, Bruneck, Südtirol
Alexander Pedevilla, Armin Pedevilla, Johanna Herzog, Giorgio Larcher, Lea Mittelberger, Michael Rollmann, Matteo Bolgan und Leonie Singer
 
Fachplaner 
Tragwerksplanung: iPM, Bruneck
HLS + Brandschutz + Klimahaus: helplan, Olang, Südtirol
Elektro: Ingenieurbüro Oberlechner, Rasen-Antholz, Südtirol
Licht: Lichtstudio Eisenkeil, Bozen, Südtirol
Akustik: NiRA Consulting, Brixen, Südtirol
Küche: H44 Team, Kaltern, Südtirol
Grafik: Bureau Rabensteiner, Innsbruck
 
Fertigstellung
2021
 
Fotos
Gustav Willeit, Corvara und Zürich

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