Wenig Zeit, enges Budget und kein fixer Standort: Wie Herausforderungen die Kreativität beflügeln

Mostlikely Architecture
24. August 2023
Foto: © Mostlikely Architecture
Herr Neuner, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Im Frühjahr 2022 befand sich der Kultur.Sommer.Semmering in einer vermeintlich ausweglosen Lage: Das Festival konnte aufgrund eines plötzlichen Besitzerwechsels nicht mehr an seiner angestammten Spielstätte, dem Südbahnhotel Semmering, abgehalten werden. Für die 80 bereits geplanten Veranstaltungen gab es somit keinen Austragungsort mehr.

Eine wahre Flut an Hilfsbereitschaft und Solidarität aus der Region war die Folge. Die Besitzer des bislang geschlossenen Grandhotels Panhans boten an, ihr Haus zur Verfügung zu stellen und darüber hinaus auch das Areal vor dem Hotel mit Blick auf das herrliche Bergpanorama des Semmerings. Da das Panhans aber nicht über ausreichend große Säle verfügt, musste in nur vier Monaten ab Auftragserteilung ein neuer Konzertsaal fertiggestellt werden. Diese knifflige Aufgabe kam uns zu.

Die neue Spielstätte für den Kultur.Sommer.Semmering musste innerhalb von nur vier Monaten geplant und gebaut werden. Für die Architekten und alle am Bau Beteiligten bedeutete dies eine große Herausforderung. (Foto: © Mostlikely Architecture)
Der Pavillon kann nicht für immer an seinem ursprünglichen Bauplatz verbleiben. Die Holzkonstruktion wurde deswegen so ausgelegt, dass das Bauwerk innerhalb von insgesamt vier Wochen abgebaut und an einem anderen Ort wieder aufgestellt werden kann. (Foto: © Mostlikely Architecture)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Als Ort für das Projekt wurde das Aussichtsplateau vor dem Grandhotel Panhans auserkoren – mit der Auflage, dass der Pavillon dort nur für begrenzte Zeit bleiben kann. Neben der terminlichen Herausforderung bestand somit auch die, einen mobilen Konzertsaal zu schaffen: In jeweils nur zwei Wochen sollte dieser in Zukunft abgebaut und an einem anderen Ort wieder aufgestellt werden können. Vor diesem Hintergrund entwickelten wir den Kulturpavillon aus großen vorgefertigten Elementen, die vor Ort schnell zusammengefügt werden konnten. Dies bringt zusätzliche Vorteile mit sich: Durch seine besondere Konstruktionsweise kann der Kulturpavillon an die Bedürfnisse zukünftiger Festival-Saisons angepasst werden. Auch Erweiterungen des Bauwerks sind bei Bedarf einfach möglich.

Das Bauwerk weist eine minimalistische Formensprache auf. Seine Gestaltung ist als Bezugnahme auf die Waldlandschaft ringsherum zu verstehen. (Foto: © Mostlikely Architecture)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Der Semmering ist für die Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Sommerfrische bekannt, also die Idee, sich an einem Ort fern des Alltags mit angenehmem Klima zu erholen. Dementsprechend prägen geschichtsträchtige Grandhotels die Gegend. Diese reiche Historie brachte hohe ästhetische Ansprüche an unseren Kulturpavillon mit sich. Er knüpft architektonisch an die örtliche Bautradition an und inszeniert die malerische Semmeringer Bergkulisse: Die sanft abfallende und absteigende Silhouette der in modernem Minimalismus gehaltenen Holzkonstruktion fügt sich spielerisch in die umgebende Waldlandschaft ein. Die Kraft der Reduktion setzt sich im Innenraum fort: Leichte Vorhänge sowie eine reduzierte Technik und Beleuchtung rücken den Fokus auf die räumlichen Qualitäten, den malerischen Ausblick und vor allem die künstlerischen Darbietungen.

Foto: © Mostlikely Architecture
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Wir mussten das Fassungsvermögen so auslegen, dass der Bau den steigenden Besucherzahlen des Festivals auch zukünftig gerecht werden kann. Außerdem mussten wir auf eine herausragende Akustik achten. Schließlich ist sie eine Grundvoraussetzung für den Erfolg des Bauwerks. Insbesondere war aber auch der ästhetische Anspruch an diesem besonderen Ort, der so sehr von Vergangenheit geprägt ist, enorm hoch. Zudem war uns allen die ökologische Nachhaltigkeit ein besonders großes Anliegen. Und nicht zuletzt blieben, wie eingangs erwähnt, für die Planung, die Entwürfe, die Findung eines Bauunternehmens und den Bau selbst nur unfassbar knappe vier Monate Zeit. Noch dazu war das Budget extrem niedrig. Kurzum, das Risiko, mit dem Vorhaben zu scheitern, war enorm hoch.

Im Mittelpunkt stand immer die Vision des Pianisten und Intendanten Florian Krumpöck, einen Pavillon nach hohen klangästhetischen Maßstäben zu konzipieren: Von der Bühne aus öffnet sich der Raum. Das ermöglicht im Zusammenspiel mit den Holzoberflächen eine harmonische Schallausbreitung und Akustik. So sind die Gesetzmäßigkeiten der räumlichen Klangentwicklung im Einklang mit der künstlerischen Formgebung. 

Der mobile Pavillon weist aufgrund seiner Form und Materialisierung eine hervorragende Akustik auf. (Foto: © Mostlikely Architecture)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Die anfängliche Idee der Bauherrschaft war, eine Freiluftbühne zu gestalten. Doch aufgrund der großen Wetterschwankungen auf 1000 Meter Seehöhe wurde dieser Plan schon bald verworfen. Daraufhin prüften die Bauherrschaft die Möglichkeit, ein Zelt oder gar eine Art mobilen Konzertsaal aus Glas anzumieten. Im Zuge dessen holte sie unseren Rat ein.

Schnell fassten wir gemeinsam den Entschluss, auf eine allsommerliche Anmietung eines rein gläsernen Saals aus akustischen und klimatischen Gründen zu verzichten. Unter meiner Mitwirkung entstand dann die Ideen, einen eigenen mobilen Konzertsaal zu errichten. Dieser sollte so gebaut sein, dass er beim bevorstehenden Umbau des Grandhotels Panhans seinen Standort wechseln kann und so dem Festival in den aktuell bewegten Zeiten am Semmering eine dauerhafte Heimat wird.

Die gesamte Konstruktion ist so ausgelegt, dass beim Auf- und Abbau kein Müll anfällt und kein neues Material benötigt wird. (Foto: © Mostlikely Architecture)
Die Inszenierung der Ausblicke in die umgebende Landschaft prägt die Architektur des Temporärbaus. (Foto: © Mostlikely Architecture)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Von Anfang an stellten wir hohe Ansprüche hinsichtlich der Nachhaltigkeit. Dies umfasste auch die Kriterien des zirkulären Bauens. Deshalb fiel die Entscheidung, mit regionalen Firmen zu arbeiten und den Kulturpavillon vollständig aus heimischem, zertifiziertem Holz zu errichten. Insgesamt wurden rund 75 Tonnen Fichte und Lärche verarbeitet. Auf die klimaschädlichen Baumaterialien Beton und Stahl wurde indes verzichtet. Die Konstruktion ist komplett rückbaubar, die Oberflächen sind naturbelassen. Die Stöße der Elemente sind mit überlappenden Fugen und Deckleisten beziehungsweise Deckblechen gestaltet. Auf diese Weise stellen wir sicher, dass der Pavillon bei Ab- und Wiederaufbau zur Gänze wiederverwendet werden kann. Es fällt kein Müll an, und neues Material wird nicht benötigt.

Auch bei der Klimatisierung haben wir auf die Umweltfreundlichkeit geachtet: Mittels bodennaher Nachströmöffnungen in der Fassade und Abluftöffnungen an der Decke haben wir einen natürlichen Kamineffekt generiert. Mechanische Lüfter am Dach unterstützen diesen zusätzlich. So konnten wir mit minimalen Mitteln den energieintensiven Einsatz von aufwendigen Lüftungssystemen vermeiden.

Lageplan (© Mostlikely Architecture)
Grundriss (© Mostlikely Architecture)
Schnitt (© Mostlikely Architecture)
Bauwerk
Kulturpavillon Kultur.Sommer.Semmering
 
Standort
Hochstraße 32b, 2680 Semmering
 
Nutzung
Kulturpavillon
 
Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Kultur.Sommer.Semmering GmbH
 
Architektur
Mostlikely Architecture, Wien
Mark Neuner (Projektleiter), Christian Höhl (Projektleiter) und Gil P. Grassman (Assistenz)
 
Fachplaner
Statik: Dipl. Ing. Zisser
Akustik: Höfer Akustik GmbH
Lüftungskonzept: S&P Engineering
Eventtechnik: Johannes Jäggle
 
Fertigstellung
2022
 
Auszeichnung
Nominierung Niederösterreichischer Holzbaupreis
Nominierung Bauherrenpreis 2023 (Die Bekanntgabe der Preisträger*innen erfolgt 13. Oktober 2023 im Festspielhaus Bregenz.)
 
Fotos
Mostlikely Architecture

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