Der Anti-Star
Falk Jaeger
8. März 2023
Sir David Alan Chipperfield (Foto: © Tom Welsh)
Der Pritzker-Preis geht in diesem Jahr an Sir David Chipperfield. Akribie, Sachkenntnis und Demut zeichnen den Briten aus. Er ist der Gegenentwurf zum Stararchitekten.
Der seit 1979 alljährlich von der Hyatt-Stiftung vergebene, mit 100'000 US-Dollar dotierte Pritzker-Preis wird gerne als »Nobelpreis für Architektur« bezeichnet, wenn nicht gerade vom japanischen, seit 1989 mit gut 100'000 Euro dotierten Praemium Imperiale die Rede ist, dem dieser Titel auch oft zuteil wird. Letzteren hatte David Chipperfield 2013 erhalten. 21 weitere Architekten und Zaha Hadid sowie Kazuyo Sejima als einzige Frauen stehen auf beiden Preisträgerlisten. Unterstützten also beide Preise fast im Gleichschritt das internationale Starsystem der Produzenten ikonischer »Signature Architecture«, so zaubert die Pritzker-Jury seit einem Jahrzehnt auch unerwartete Namen aus dem Hut wie Alejandro Avarena, Balkrishna Doshi und Francis Kéré sowie mit Anne Lacaton, Farrell/McNamara und Carme Pigem inzwischen auch mehr Frauen, die als ökologisch und/oder sozial engagierte Architekten und Architektinnen alles andere als Renommee-Architektur schaffen.
Amorepacific Headquarters, Seoul, 2017 (Foto: © Noshe)
Amorepacific Headquarters (Foto: © Noshe)
Dieses Jahr ist David Chipperfield der Auserwählte, was zunächst wie ein Rückschritt zur Auszeichnung arrivierter Stars erscheint. Doch er spielt nicht die Klaviatur des architektonischen Showgeschäfts, er reist nicht mit Hofstaat von Konzernzentrale zu Konzernzentrale, er baut nicht in jedem Winkel der Welt seine architektonischen Orchideen und gibt nicht vor, zu wissen, mit welcher Architektur man die Welt verbessern könne. David Chipperfield ist in seinem ruhigen, unspektakulären Auftreten eins mit seiner Architektur, die völlig ohne laute Effekte und vordergründige Semantik auskommt. Er verfolgt keine Ideologie und lässt sich weder einer Tradition noch einer Avantgardebewegung zurechnen. Mit Louis Kahn, mit Tadao Ando und Peter Zumthor vergleichbar, geht er zurück auf die archaischen Wurzeln der Baukunst, nutzt Licht, Raum und Materialwirkung, um der Architektur zu autonomer künstlerischer Bedeutung zu verhelfen, sie zu einer existenziellen Aussage mit Sinn und Bedeutung zu erhöhen. In großer Nähe zur traditionellen japanischen Baukunst gestaltet er formal reduzierte Bauten und Innenräume.
Angesichts dieser Gedankenfülle bleibt die Pritzker-Jury bei der Charakterisierung von Chipperfields Arbeit merkwürdig im Allgemeinen. Die ganze Laudatio umkreist und mündet in den am Schluss formulierten Gedanken: »Für die Strenge, Integrität und Relevanz eines Werks, das über die Architektur hinaus für sein soziales und ökologisches Engagement spricht, wird David Chipperfield zum Preisträger des Pritzker-Preises 2023 ernannt.«
America’s Cup Gebäude, Valencia, 2006 (Foto: © Christian Richters)
America’s Cup Gebäude (Foto: © Christian Richters)
Wir können hier konkreter werden und weitere Aspekte aufzählen. Ist es Integrität oder Relevanz, wenn Chipperfield Eleganz an den Tag legt wie beim großartigen America’s Cup Gebäude in Valencia? Ist es Strenge, wenn er der Pfeilerhalle des Literaturmuseums in Marbach die Dignität einer Akropolis verleiht? Dass er sich an Hochhäusern versucht, möchte man ihm nicht wünschen. Zumindest was die Großform betrifft, würde der in Planung befindliche 235 Meter hohe Elbtower in Hamburg eher nach Dubai als in die HafenCity passen, ein Ausreißer in Chipperfields Portfolio.
Meist arbeitet er jedoch mit preußischen Tugenden persönlich an der Pflichterfüllung seiner Bauten, deren Formen zurückhaltend und selbstverständlich erscheinen, jedenfalls formal langlebiger sind und immer viel mit dem jeweiligen Ort zu tun haben.
James-Simon-Galerie, Berlin, 2018 (Foto: © Simon Menges)
James-Simon-Galerie (Foto: © Simon Menges)
Im Umgang mit dem Material ist er dagegen eher Italiener. Seien es alte, wiederverwendete Ziegel, die er zu Wänden mit eingebauter Patina schichtet, seien es scharrierte, geschliffene oder polierte Oberflächen, seien es ungewöhnlich verarbeitete Hölzer, immer gelingt es ihm, vom Beton-Glas-Eiche-Einerlei der Moderne abzukommen und den Häusern und Räumen atmosphärische Dichte mitzugeben, die den Menschen das verloren geglaubte Architekturerlebnis zurückgibt. Vor allem der Beton, den er gerne einsetzt, wandelt sich bei ihm zu Marmor. Warm golden oder rötlich schimmernd, mit ausgewählten Zuschlägen und aufwendig gestockter Oberfläche, kann er sich mit Naturstein oder Holz zu harmonischer Komposition verbünden. Warum muss Sichtbeton immer grau sein?
Royal Academy of Arts, London, 2018 (Foto: © Simon Menges)
Royal Academy of Arts (Foto: © Simon Menges)
Royal Academy of Arts (Foto: © Simon Menges)
Neues Museum, Berlin, 2009 (Foto: © Joerg von Bruchhausen)
Neues Museum (Foto: © SMB / Ute Zscharnt für David Chipperfield Architects)
Aktuell und zukunftsweisend ist Chipperfield jedoch, weil er am besten kann, was heute am dringendsten geboten ist: Bauen mit und im Bestand und vor allem kreative Denkmalpflege. Bei der Sanierung und Erweiterung der Royal Academy of Arts in London, beim Rockbund in Shanghai, beim Wiederaufbau des Neuen Museums in Berlin oder bei der Quartiersanierung der Stadthöfe in Hamburg hat er gezeigt, wie man mit neuen Materialien und adäquaten Formen kongenial ergänzt und wie dadurch Historisches gerettet und zum Sprechen gebracht wird, nämlich mit Akribie, Sachkenntnis und Demut. Demut, die vor allem bei der Sanierung der Neuen Nationalgalerie in Berlin angebracht war, wo Mies van der Rohes Entwurf das Gesetz und Neues nicht zu entwerfen war oder nach Chipperfields Verständnis nicht als solches zu erkennen sein sollte. Demut hat auch mit Souveränität zu tun, das Andere, den Anderen gelten lassen können. David Chipperfield ist der Gegenentwurf zum Stararchitekten.