»Es geht weniger um Revolution«

Natalie Kreutzer
30. Mai 2024
Die Gartenwerkstatt »Strubobuob« in Bezau im Bregenzerwald (Foto: Adolf Bereuter)


Sven, Markus, euer Ziel ist, so habe ich gelesen, eine Baukunst, die durch unaufgeregte Alltäglichkeit vertraute Orte mit Bestand schafft. Was bedeutet das für euch? 

Sven Matt: Das Vertraute hängt ganz stark von der atmosphärischen Qualität eines Raumes ab. Wenn man einen Raum betritt, spürt man sofort, ob man sich wohlfühlt oder nicht. Und das ist auch ausschlaggebend dafür, ob man Vertrauen aufbaut. Die atmosphärische Qualität selbst ist dabei von vielen Dingen abhängig: vom Licht, von der gestalterischen Qualität oder den Möglichkeiten der Nutzung. Unser Ziel ist, dass wir auf möglichst vielen Ebenen versuchen, eine atmosphärische Qualität zu schaffen, die diese Vertrautheit weckt. Ich glaube, es geht primär auch um Aneignung – um einen Raum, der sich leicht aneignen lässt. 

Markus Innauer: Das beginnt schon im Städtebau, wenn man ein Bauwerk in ein vorhandenes Gefüge einpasst. Natürlich darf es anders oder neu sein, aber es muss Bezug nehmen auf die umgebende Bebauung und einem gewissermaßen durch die Setzung bereits im Außenraum ein gutes Gefühl geben. Und das hängt davon ab, wie die Gebäude zueinander stehen, wie sie miteinander korrespondieren, wie sich die Höhen zueinander verhalten und so weiter. Darüber, ob man sich wohlfühlt, entscheidet bereits der Außenraum durch die Platzierung und die Volumetrie des Baukörpers mit – und natürlich auch durch die Dachform. 

Der Gewinnerentwurf von Innauer Matt aus dem November vorigen Jahres für das neue Eingangsgebäude des Deutschen Technikmuseums in Berlin. Von der Wettbewerbsjury unter Vorsitz von Jórunn Ragnarsdóttir lobend hervorgehoben wurden unter anderem die erlebbare Holzstruktur des Daches und die vollständig aus Fotovoltaik-Schuppen gebildete Dachhaut. Letztere stelle eine zukunftsweisende und beispielhaft gestaltete Integration von energiewirksamen Hüllflächen in ein ansprechendes Gebäude dar. (Visualisierung: Anna Gassner)

Sven Matt: Und zumindest unser Ausdruck ist der, dass die Räume, die wir machen, recht wenig mit einer überinszenierten Raumstimmung zu tun haben. Es sind eher Nuancen, die man spürt, etwa den Wechsel zwischen hoch und niedrig oder hell und dunkel. Dazu fällt mir das Museum Bezau ein mit seinem Wechsel zwischen Alt und Neu. Dort ist es uns recht gut gelungen, den Neubau zwar zeitgemäß anders zu interpretieren, aber trotzdem mit dem Altbau so gut korrespondieren zu lassen, dass man nicht das Gefühl hat, sich zwischen zwei komplett unterschiedlichen Welten zu bewegen. Ich glaube, das beantwortet auch deine Frage nach vertrauten Orten mit Bestand.

Links: Beim Museum Bezau im Bregenzerwald treffen Alt und Neu aufeinander. Modernisierung und Erweiterung wurden im April dieses Jahres fertiggestellt. Das Heimatmuseum ist schon seit 1920 in einem Bregenzerwälder Bauernhof aus dem 18. Jahrhundert untergebracht. (Foto: Julian Schmelzinger

Rechts: Revitalisierung Studio Innauer Matt Architekten in Bezau, 2021 (Foto: Adolf Bereuter)

Ihr kombiniert also Bewährtes mit Neuem? Auf welcher Ebene passiert das?

Sven Matt: Das hat mit dem Handwerk zu tun, aber auch mit der Architektursprache. Uns ist wichtig, die Verbindung zwischen Bestehendem und Neuem auf sinnvolle Weise zu finden. Also so, dass ein Brückenschlag zwischen dem Gestern und Heute möglich ist. Und ich glaube, es geht weniger um Revolution als um eine sinnvolle Evolution, um das Weiterentwickeln von Vorhandenem. Dadurch entstehen am Ende Projekte, die sinnstiftend sein können, über den reinen Nutzen hinaus.

Markus Innauer: Wir bauen auf Bewährtem auf; auf althergebrachten Details, die wir interpretieren und zeitgemäß weiterentwickeln.

Sven Matt: Was uns auch extrem geprägt hat, nochmals in Bezug auf die atmosphärische Qualität und vertraute Orte mit Bestand, ist unser eigenes Büro hier in Bezau. Nicht wir haben den Bau ja in dem Sinne gestaltet, sondern Leopold Kaufmann. Und oft spürt man bei den Menschen, die zum ersten Mal in diesen Raum hereinkommen, wie das Auge aufgeht und sie sich gleich wohlfühlen.

Markus Innauer: Ja, und eigentlich durch diese ganz klar klassischen Themen wie die Proportion des Raumes, die Materialität und die Lichtführung. Es braucht nicht viel – nur das Wenige richtig eingesetzt.

Der Kunstraum Kassel, eine neugebaute Ausstellungshalle der Kunsthochschule der Stadt, war Finalist beim DAM Preis 2024 und für den EU Mies Award 2024 nominiert. Eine Besonderheit des Baus sind die eigens für das Projekt entwickelten gewölbten Lichtlinsen. Sie bringen umlaufend gleichmäßig diffuses Licht in den Innenraum. (Foto: Nicolas Wefers

Holzbau ist im Bregenzerwald eine Handwerkskunst mit langer Tradition. Wie ist das bei euch, habt ihr euch dem Holzbau verschrieben? 

Markus Innauer: Wichtig ist, dass man sich nicht versteift, sondern versucht, jeweils das richtige Material für die richtige Aufgabe und den richtigen Ort zu finden. Klar, zuerst schauen wir meistens Richtung Holz. Wir sind im Bregenzerwald damit aufgewachsen. Aber wir hinterfragen schon immer ganz stark, was wie eingesetzt wird. Und es gibt Regionen, da macht Holzbau in mehrfacher Hinsicht keinen Sinn. Was wir momentan spüren, ist die extreme Nachfrage nach Holz: Alle möchten Holzbau machen. Wir merken allerdings, je weiter wir weg sind von Vorarlberg mit unseren Projekten, desto schwieriger wird es, sie in der gewohnt hohen Qualität – die für uns selbstverständlich ist – umzusetzen. Das Ganze muss sich entwickeln, es braucht noch Zeit, bis das Know-how auch in anderen Regionen vorhanden ist.

Sven Matt: Ich glaube, das Thema Holz ist in dem Umfeld, in dem wir arbeiten und, wie Markus schon gesagt hat, großgeworden sind, fast selbstverständlich. Aber wir sind nicht sehr dogmatisch, was das angeht. Es muss und kann nicht immer Holz sein. Ich denke da an Massivbauten von uns wie die Bergstation der Patscherkofelbahn in Innsbruck, ein großvolumiger Betonbau. Das Ziel war ein richtig technisches Gebäude, das im hochalpinen Raum verortet ist, wo die Standfestigkeit und die Massivität eine ganz wichtige Rolle spielen. Mit einem Holzbau wäre das in dieser Form nicht leistbar gewesen.

Die Erscheinung des Neubaus der Patscherkofelbahn oberhalb der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck (2018) ist von funktionsabhängigen, klar strukturierten vertikalen und horizontalen Elementen geprägt. (Foto: Adolf Bereuter)

Seit der Gründung eures Büros im Jahr 2012 seid ihr hier in Bezau zu Hause, mitten im Bregenzerwald. Wie vorhin von euch angesprochen, befindet sich euer Büro in einem vom Altmeister Leopold Kaufmann errichteten Haus, das dazumal als Fotoatelier konzipiert wurde. 2021 habt ihr es umgebaut und saniert. Welche Bedeutung haben dieser Standort und diese Räumlichkeiten für euch?

Markus Innauer: Es ist der Ort, an dem ich mich am meisten aufhalte. So gesehen ist das Büro natürlich wichtig und immer noch Wohlfühlort. Ich gehe fast jeden Tag gerne ins Büro, muss ich sagen. Ich fühle mich auch wohl in dem Dorfgefüge; wohl damit, dass wir eigentlich mittendrin sind, mit dem Schaufenster zur Straße hinaus und in Richtung Dorf; wohl damit, dass wir teilhaben am Dorfleben. Bei uns laufen die Kindergartenkinder vorbei und schauen sich die Modelle im Schaufenster an – und das finde ich irgendwie schon cool.

Sven Matt: Das Haus selbst hat nach dem Umbau viel mehr an Qualität gewonnen. Es ist mehr Leben eingekehrt, nachdem hier nicht mehr nur gearbeitet, sondern auch gewohnt wird – im Vorderhaus sind neu drei Wohnungen untergebracht.

Das Studio von Innauer Matt Architekten in Bezau wurde 2021 revitalisiert. Auf dem Bild ist ein Teil des ehemaligen Fotoateliers mit dem Schaufenster zur Dorfstraße zu sehen. (Foto: Adolf Bereuter)

Was wird euch zukünftig als Architekten herausfordern?

Sven Matt: Das umfasst im Prinzip das Thema der Ressourcen, wie auch schon aktuell. Damit meine ich nicht nur das Material, sondern auch den Grund und Boden sowie die Leistungsbereitschaft des Einzelnen. Hier eine gute Balance zu finden, beschäftigt uns – und sollte unsere Gesellschaft als Ganzes beschäftigen. Man muss die Grenzen des Wachstums erkennen.

Markus Innauer: Ich hoffe, dass man zukünftig wieder bedachter baut und auch plant. Die letzten Jahre waren geprägt vom Leitmotiv »immer größer, immer schneller«. Vor allem schneller: Alles musste schneller passieren, das Planen, das Bauen. Ich glaube, jetzt, da sich die Konjunktur in der Baubranche wirtschaftlich bedingt abkühlt, wäre der Moment darüber nachzudenken und umzudenken. Etwas Abschwung, das ist immer eine Chance, dann passiert Entwicklung.

Markus Innauer (links) und Sven Matt mit ihrem Team (Foto: Christian Anwander)

Markus Innauer (*1980) studierte von 2002 bis 2009 an der Universität für angewandte Kunst in Wien. 2005/06 absolvierte er ein Auslandssemester an der University of California in Los Angeles. 2009 machte er sein Diplom in der Meisterklasse bei Zaha Hadid. Von 2002 bis 2008 arbeitete er bei Oskar Leo Kaufmann in Dornbirn. 2012 gründete Markus Innauer ein gemeinsames Büro mit Sven Matt. Seit 2015 ist er Mitglied des Gestaltungsbeirats der Vorarlberger Gemeinde Schruns.
 
Sven Matt (*1980) studierte von 2000 bis 2003 an der Universität in Innsbruck. Zwischen 2003 und 2004 arbeitete er bei Feichtinger Architekten in Paris und Wien. Danach folgten acht Lehrjahre bei Bernardo Bader in Dornbirn. 2007 machte Sven Matt sein Diplom an der Technischen Universität Wien. Von 2016 bis 2019 war er Vorstandsmitglied des Vorarlberger Architektur Instituts (vai). Seit 2018 gehört er zum Gestaltungsbeirat der Gemeinde Alberschwende und seit 2023 sitzt er zudem im Stadtplanungsbeirat der Stadt Dornbirn.

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