Hart bei Graz – eine Agglomerationsgemeinde kämpft mutig gegen die Zersiedelung

Manuel Pestalozzi
28. September 2023
Der hässliche Kreisverkehr im Zentrum von Hart soll verschwinden. Stattdessen könnte künftig ein schöner Grünraum Identität stiften. Zudem sollen die Bauten ringsherum nachverdichtet werden, und auch ein neues Schulhaus ist geplant. (Visualisierung: ARGE Volker Giencke & Company / GM013 Landschaftsarchitektur)
»Wir wissen, dass das ein langwieriger Prozess ist. Aber wir wollen den Fatalismus, dass hier nichts mehr zu machen ist, nicht akzeptieren. Wir wollen ein Zentrum mit Aufenthaltsqualität.«

Jakob Frey, Bürgermeister von Hart

Einst ein Dorf vor den Toren der Stadt, ist Hart heute eine der am stärksten wachsenden Grazer Vorortgemeinden. In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich die Einwohnerzahl annähernd verdoppelt. Mit dem Zugewinn an Bevölkerung und Bedeutung gehen neue Gestaltungsfragen und Planungsaufgaben einher. Zum Beispiel fehlt der Gemeinde ein identitätsstiftendes Ortszentrum. Heute findet sich in ihrem Kern kaum mehr als eine Ansammlung von schreiend bunten Bauten und unansehnlichen Parkplätzen. Diese Tristesse ist, nebenbei bemerkt, typisch für die Grazer Agglomeration. Auch der Flächenfraß schreitet wie vielerorts schier ungebremst voran – mit schlimmen Folgen für die Umwelt und die Lebensqualität der Menschen.

Zwischen 2017 und 2019 fand deswegen ein groß angelegtes Beteiligungsverfahren statt. Die Bürger*innen wünschten sich dabei, dass die Zersiedelung ihrer Heimat ausgebremst wird. Auch träumen sie von kürzeren Wegen, weniger Abhängigkeit vom Auto und einer besseren Infrastruktur für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen. Außerdem brachten sie den Wunsch zum Ausdruck, das Zentrum von Hart qualitätsvoll zu verdichten und dort strukturiert Wohnraum für neu Zugezogene zu schaffen. Doch eine Umsetzung, die alle abholt, wird nicht einfach: »Die Frage ist, wie wir den Leuten vermittelt, dass wir im Ortszentrum noch dichter und vielleicht höher bauen und dass ein weiteres Einwohnerwachstum nicht mit mehr Belastung gleichzusetzen ist«, sagte Bürgermeister Jakob Frey der Tageszeitung Der Standard.

Die Gemeinde lobte im Anschluss einen städtebaulichen Wettbewerb aus, zu dem acht interdisziplinäre Teams eingeladen wurden. Das Planungsgebiet war die Gegend um den Kreisverkehr an der Pachern-Hauptstraße, der täglich von über 10'000 Fahrzeugen umkurvt wird. Dort befinden sich, wie eingangs angedeutet, Gewerbe- und Bürobauten, Geschäfte, die Volksschule, ein Sportzentrum und auch das Gemeindeamt. Die Aufgabe bestand darin, in diesem disparaten und architektonisch wenig ansprechenden Umfeld mit ganz unterschiedlichen Nutzungen eine kohärente Identität zu erzeugen.

Kluge Nachverdichtung und ein neuer Landschaftsraum

Durchsetzen konnte sich eine ARGE aus dem Büro des Architekturprofessors Volker Giencke, der an Innsbrucks Universität das Institut für experimentelle Architektur ./studio 3 aufgebaut hat und zu den einflussreichsten und streitbarsten Denkern der österreichischen Architekturszene gehört, und den Berliner Landschaftsarchitekt*innen von GM013. Die hochkarätig besetzte Jury um die Architektinnen Silja Tillner und Aglaée Degros von der TU Graz fand Gefallen am ausgeprägt landschaftsarchitektonischen Zugang des Teams. An die Stelle des zentralen Kreisverkehrs tritt in dessen Vorschlag »Stadtterrassen« eine Abfolge von Plätzen und begrünten Ebenen. Zentrales Element ist ein baumbestandener Bereich, der den Niveauunterschied zwischen den beiden Hauptplätzen ausgleicht. Er bildet neu einen attraktiven Landschaftsraum zwischen dem bestehenden und einem vorgeschlagenen neuen Schulhaus. Der besagte Kreisverkehr soll indes ebenso verschwinden wie die hässlichen Parkplätze. Die Autos werden dafür im Untergrund aufgeräumt.

Hinsichtlich der geforderten Nachverdichtung des Ortszentrums sieht der Entwurf eine Aufstockung des bestehenden Geschäftszentrums vor. Im Bereich des Sportplatzes ist zudem eine neue Wohnsiedlung geplant. Volker Giencke und GM013 nehmen sich also des Bestandes an, um ein dichteres, aber auch grüneres Zentrum zu schaffen, mit dem sich die Menschen dereinst identifizieren können.

»Der Wettbewerb war ein wirklich wegweisendes Verfahren, das alle Themen beinhaltet, die uns im Moment beschäftigen: Verkehr, Klimaresilienz, Freiräume, Nachverdichtung, leistbarer Wohnraum. Das Siegerprojekt gibt eine Antwort auf die Frage, wie wir mit unseren Ballungszentren umgehen: Muss alles urban werden? Oder schaffen wir lieber gute Freiräume und versiegeln den Boden nur dort, wo es unbedingt sein muss?«

Silja Tillner, Jurymitglied

Die Entwicklung von Schlieren in der Zürcher Agglomeration zeigt, was Gemeinden wie Hart mit einer konsequenten Planung erreichen können. Ein wunderbares Buch dokumentiert das Wachstum des Schweizer Vororts. (Foto: Elias Baumgarten)
Nun ist Ausdauer gefragt

Während sich viele Agglomerationsgemeinden ihrem Schicksal ergeben, hat man sich in Hart für einen mutigen Weg entschieden. Doch noch ist die Umgestaltung nicht in trockenen Tüchern: Die Verlegung der Landstraße aus dem Ort, die für den Umbau zwingend erforderlich ist, muss erst noch bestätigt werden. Schon jetzt aber lässt sich sagen, dass Ansatz und Haltung der Gemeinde zum Vorbild für andere Orte im Land taugen.

Was sich mit einer mutigen Planung in einer boomenden Vorortgemeinde erreichen lässt, zeigt unterdessen die Entwicklung von Schlieren bei Zürich in der Schweiz. Die positive Veränderung der Gemeinde könnte die Menschen in Hart weiter anspornen und ermutigen. Dokumentiert wurde sie unlängst mit der zweibändigen Publikation »Stadtwerdung im Zeitraffer«.

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